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Die Hochschultrojaner

An deutschen Hochschulen gibt es rund 1.000 Professuren, die von Wirtschaftsunternehmen oder privaten Stiftungen finanziert werden. Das zeigen neue Recherchen der taz. Was bedeutet das für die Universitäten?

Dieter Stellmacher erinnert sich noch gut daran, wie sein Lehrstuhl geschlossen wurde. Das war im Jahr 2005. Stellmacher hatte das Fach Niederdeutsche Philologie an der Universität Göttingen 29 Jahre lang geleitet und ebensolang das Niedersächsische Wörterbuch herausgegeben und gepflegt. Doch unter der Landesregierung von Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) hieß es: Sparen! 2003 hatte das Land mit dem Hochschuloptimierungskonzept einen gewaltigen Sparplan im Bildungsbereich verabschiedet. „Das war ein großes Trauerspiel“, sagt Stellmacher.Seine Universität musste plötzlich mit zwölf Millionen Euro im Jahr weniger auskommen.

Jeder Fachbereich leistete seinen Beitrag zu den ministeriellen Sparvorgaben: Die Philosophische Fakultät schloss zwei Studiengänge. Weitere Professuren sollten nicht neu besetzt werden. Darunter waren Stellmachers Niederdeutsche Philologie, sowie die Professuren in Musikethnologie, Wissenschaftsgeschichte, Turkologie, Japanologie und Sinologie. Für den Fachbereich Sinologie fanden sich aber private Stifter. Drei Unternehmer und zwei Banken aus der Region finanzierten die Professur Ostasienwissenschaft/China für fünf Jahre. Im Gegenzug verpflichtete sich die Universität, die Stelle nach Ablauf der Förderzeit aus eigener Tasche weiterzuführen.

Mit der privaten Anschubfinanzierung war die Göttinger Sinologie dauerhaft gesichert. Und sie wuchs schnell dank weiterer privater Stifter. Die Chinesische Regierung und Volkswagen richteten zwischen 2009 und 2014 drei weitere Professuren ein, die unter anderem der Gesellschaft und Wirtschaft des modernen Chinas und der Erforschung Chinas aus globalhistorischer Perspektive gewidmet sind. Wie bei Stiftungsprofessuren üblich, gaben die Geldgeber das Forschungsthema vor. Die Universität Göttingen besetze die Stellen. So soll geregelt sein, dass die Geldgeber keinen Einfluss auf die Forschung nehmen.

Heute hat Göttingen eines der größten Forschungszentren für das moderne Ostasien. Wer hier studiert, verspricht die Internetseite, werde als Fachkraft für den „Markt der Zukunft“ ausgebildet und erlerne neben fachlichen, sprachlichen und wissenschaftlichen auch „arbeitsmarktbezogene Schlüsselkompetenzen“. Wer später unternehmerisch in China tätig sein will, erhält im Masterstudiengang Chinesisches Recht & Rechtsvergleichung das Rüstzeug für die Karriere in einem internationalen Unternehmen – mit Abschlüssen in Göttingen und an der chinesischen Partneruniversität Nanjing.

Man kann sich freuen für die Göttinger Sinologie, die schon vor 90 Jahren als eines von damals nur drei Instituten zu China forschte. Man kann aber gleichzeitig bedauern, dass nicht auch die Niederdeutsche Philologie gerettet wurde. Auf den ersten Blick hat das eine mit dem anderen gar nichts zu tun: Die Universität hat beschlossen, sechs Professuren auslaufen zu lassen. Auf die Initiative privater Geldgeber wurde einer der Lehrstühle wieder ins Leben gerufen. Und doch stehen die Schicksale der beiden Lehrstühle miteinander in Zusammenhang.

Künftig wegfallend

Sowohl die Bundesländer als auch die Hochschulgremien sind an der Entscheidung beteiligt, welche Lehrstühle mit dem so genannten kw-Vermerk – „künftig wegfallend“ – versehen werden. Die Wissenschaftsministerienweisen jeder Hochschule ein Budget zu, das sich nach einem komplizierten Schlüssel errechnet. Dabei vergleichen die Ministerien die Qualität und die Auslastung der Hochschulen. In diese Berechnung fließen in vielen Bundesländern die Anzahl der Studierenden und der Absolventen, die erfolgten Promotionen, der Anteil ausländischer und weiblicher Professoren, sowie der Umfang der eingeworbenen Drittmittel.

Zu Drittmitteln zählen alle Formen von Zuwendungen, die Unternehmer, private Stifter und öffentliche Einrichtungen an Hochschulen zahlen: Forschungsaufträge, Sponsoring, Sachspenden und Stiftungsprofessuren. Je nach Bundesland sind diese Indikatoren unterschiedlich gewichtet. Gleich ist aber überall das Prinzip: Lockt die Universität viele Studenten und Promovierende, beruft sie viele Frauen und Gastwissenschaftler aus dem Ausland auf freie Lehrstühle, und ergattert sie viele Forschungsprojekte, weist sie dadurch ihre Wettbewerbsfähigkeit nach. Und das heißt für die Hochschule: mehr Geld.

Auf dieses leistungsorientierte Finanzierungsmodell einigten sich Länder und Hochschulen Mitte vor knapp zwanzig Jahren. Vorher hatten die Hochschulen Jahr für Jahr dieselbe Summe überwiesen bekommen. Aber die Mittel waren mit strikten Vorgaben verbunden, wofür das Geld auszugeben sei. Die Ministerien wiederum vermissten Instrumentarien, um die Hochschulen effizienter machen zu können. Auf der Kultusministerkonferenz 1996 fand sich der Kompromiss. Die Hochschulen durften künftig selber entscheiden, wofür sie die Mittel verwenden, allerdings sollten sie lernen, wirtschaftlich zu planen.

Wenn Hochschulen heute bestimmte Lehrstühle nicht neu besetzen, dann mitunter auch deshalb, weil sie mit einem anderen Fach ihre Leistungsbilanz steigern, und somit mehr öffentliches Geld bekommen können. Dass sich das leistungsorientierte Finanzierungsmodell auf „bilanzschwache“ Fächer auswirkt, beobachtet die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) seit einigen Jahren. „Diese Entwicklung ist für manche kleinen Fächer beunruhigend“, sagt die stellvertretende Generalsekretärin der HRK, Brigitte Göbbels-Dreyling. Im Fall der kleinen Fächer sind sich die Hochschulen einig, dass kleine, hochspezialisierte Studiengänge nicht gänzlich verschwinden dürfen. Eine eigene Projektgruppe wacht seit 2009 darüber, dass sie bundesweit zumindest noch an einer Hochschule angeboten werden. Für die Niederdeutsche Philologie kommt dieses Engagement zu spät. Zwar kann man Niederdeutsch noch an fünf deutsch Hochschulen studieren. Doch nicht mehr als eigenständiges Fach, sondern im Rahmen eines Germanistikstudiums. An Dieter Stellmachers Lehrstuhl wurden neben der Niederdeutschen Sprache auch Mittelniederdeutsch und Niederdeutsche Literatur angeboten. Diese Einzigartigkeit hat hat Stellmachers Lehrstuhl nicht davor bewahrt, wie alle anderen Fächer auch von der Universität auf „Wettbewerbsfähigkeit“ und „Leistung“ geprüft zu werden. Fächer mit verhältnismäßig wenig Studierenden und Absolventen, Promotionen und Drittmitteleinnahmen geraten bei internen Spardiskussionen daher schnell unter Rechtfertigungsdruck. Stellmachers Lehrstuhl hatte mit durchschnittlich 30 Studierenden zu wenig Fürsprecher.

Welche Lehrstühle anstelle auslaufender Professuren neu eingerichtet werden, bestimmen zunehmend private Geldgeber mit. Rund 1.000 Stiftungsprofessuren gibt es derzeit an deutschen Hochschulen, schätzt der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft. Bei 45.000 Professuren an deutschen Hochschulen machen sie zwar nur 2,2 Prozent aus. Doch die Zahl der Stiftungsprofessuren hat sich in den letzten fünf Jahren fast verdoppelt, während die Zahl der Professoren im selben Zeitraum nur um 1,1 Prozent gestiegen ist. Jedes Jahr kommen außerdem etliche neue Stiftungsprofessuren hinzu, die den Anteil erhöhen.

Private Stifter stecken dabei fast siebenmal so viel Geld in die Wirtschafts-, Ingenieurs- und Naturwissenschaften wie in Geistes- und Sozialwissenschaften. Das zeigt eine Hochschulbefragung durch den Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft. Betrachtet man alle Fächer, finden sich vier von fünf privat finanzierten Professuren in wirtschaftsnahen Bereichen Mathematik, Natur- und Ingenieurswissenschaften und Medizin. So verstärkt die private Hochschulfinanzierung die Ungleichverteilung der Hochschulbudgets. Denn Mathematik, Natur- und Ingenieurswissenschaften erhalten, gemessen an der Anzahl der Professoren, ohnehin mehr als doppelt so viel Geld pro Lehrstuhl wie beispielsweise Sprach- oder Kulturwissenschaften.

Die Anzahl der Professuren je Fachbereich spricht eine ähnliche Sprache: Jeder fünfte Professor in Deutschland ist Ingenieurswissenschaftler. Ein weiteres Fünftel entfällt auf Mathematiker und Naturwissenschaftler. Die beiden Fachbereiche besetzen also zwei von fünf Professuren. Und sie erhalten die beiden höchsten Einzeletats aus der öffentlichen Finanzierung, zusammen 9 Milliarden Euro.

Aus diesen Zahlen folgt, dass Stiftungsprofessuren Fachrichtungen überproportional fördern, die bereits stärker finanziell ausgestattet sind und mehr Professoren beschäftigen als andere Bereiche. Stiftungsprofessuren verstärken diesen Trend aber noch in anderer Hinsicht: Wenn die vertraglich vereinbarte Förderung ausläuft, muss das für die Finanzierung zuständige Bundesland für jede neue Professur eine andere Professur auslaufen oder die Hochschule eine bestehende Professur umwidmen.

Stiftungsprofessuren sind Trojanische Pferde. Hat man das Geschenk angenommen, wird man es so schnell nicht mehr los. Zwei von drei Stiftungsprofessuren werden in das Budget der Hochschulen übernommen. In Baden-Württemberg dürfen die Hochschulen die Anschubfinanzierung sogar nur dann annehmen, wenn sie sich nach der Förderung zur Übernahme der Kosten verpflichten. Die öffentliche Hand bezahlt also in den meisten Fällen früher oder später für eine Professur, die ein Unternehmen gemäß ihrer eigenen Interessen gestiftet hat. Kein Wunder, dass die wenigsten Stifter eine Professur unbefristet fördern. Meist wird die Förderung nach fünf Jahren beendet.

Auch an der Universität Göttingen wurde Kritik laut, der gerettete Lehrstuhl für Sinologie verbiege sich für die Interessen einzelner Unternehmen. Von 2008 bis 2013 finanzierte unter anderem die Sievert Baustoffgruppe die Professur für Ostasienwissenschaften/China. Ein Lehrbeauftragter an diesem Lehrstuhl: Hans-Wolf Sievert, Aufsichtsratsvorsitzender der Sievert AG und bis 2013 Alleineigentümer des Unternehmens.

Seit 2009 wird Hans-Wolf-Sievert unregelmäßig von verschiedenen Fakultäten beauftragt, Seminare über seine unternehmerischen Erfahrungen in China zuhalten. Im Wintersemester2009/2010 etwa sprach er über Joint Ventures mit chinesischen Partnerfirmen. Das Institut vergab also für ein Semester einen Lehrauftrag an den Unternehmer,der den Lehrstuhl mitfinanzierte.Die Doppelrolle Sievert ist für die Universität Göttingen kein Problem: „Herr Sievert war nie am Ostasiatischen Seminar beschäftigt,sondern hatte in der Anfangsphase minimal vergütete Lehraufträge, heute nicht mehr.“

Ein Jahr, nachdem die Sievert AG und andere Stifter eine Professur gestiftet haben, wurden zwei weitere Stiftungsprofessuren am Institut geschaffen. Diesmal mit Geld von der chinesischen Regierung, „einem der größten Handels- und Wirtschaftspartner Niedersachsens“, wie es in der Pressemitteilung der Universität heißt. Die Sievert AG wiederum vertritt nach eigenen Angaben seit Mitte der 80er Jahre in Peking „die Interessen der niedersächsischen Wirtschaft in China“. Die chinesischen Provinzen Anhui und Zhejiang, in denen die Sievert AG seit 2008 und seit 2014 Werke betreibt, zeichneten Hans-Wolf Sievert mit Freundschaftspreisen für besondere Verdienste für die deutsch-chinesischen Beziehungen aus. Sievert hat auch eine chinesische Ehrenprofessur an einem Produktionsstandort inne.

Nicht verwertbar

Auch Geisteswissenschaftler Dieter Stellmacher hat sich um private Financiers zur Rettung der Niederdeutschen Philologie bemüht. Die Unternehmen, die er um Geld bat, wollten seinen Lehrstuhl nicht finanzieren. Seine Erklärung: „Die Niederdeutsche Philologie ist kein Bereich, der sich direkt ökonomisch verwerten ließe wie die Sinologie.“ In Deutschland gibt es derzeit 47 Studiengänge, die China aus verschiedenen disziplinären Perspektiven betrachten. Bei der Mehrzahl stehen unternehmerische Fragestellungen im Mittelpunkt.

Nach außen kommunizieren die Hochschulen gern: Stiftungsprofessuren sind eine Möglichkeit, Forschungsschwerpunkte zu setzen und das eigene Profil zu schärfen. Stiftungsprofessuren erschließen innovative Forschungsfelder und versprechen den Studierenden gute Jobaussichten. Doch es gibt noch einen anderen Aspekt, über den Universitäten weniger gern sprechen. Die deutschen Hochschulen müssen heute rund ein Viertel ihres Budgets selbst erwirtschaften. Sie sind daher auf Kooperationen mit der Wirtschaft oder öffentlichen Forschungseinrichtungen angewiesen. Stiftungsprofesssuren sind oft der Beginn einer breiter gefächerten Kooperation zwischen Stifter und Hochschule.  Stiftungsprofessuren  können Türen für große Forschungsaufträge öffnen.

Am Beispiel der Technischen Universität Dresden kann man diese Entwicklung nachzeichnen. 2008 hatte die Hochschule 1.163 Kooperationen mit Wirtschaftsunternehmen, die ihr 25 Millionen Euro brachten. Damit wurden 452 Mitarbeiter angestellt. Insgesamt warb die TU Dresden damals 155 Millionen Euro an Drittmitteln von Unternehmen, privaten Stiftern, Forschungsgesellschaften, Bund und EU ein. 2013 waren es schon 260 Millionen.

Da die Hochschulausgaben jährlich steigen, die Grundfinanzierung durch die öffentliche Hand aber stagniert, erhöht sich der Anteil an Drittmitteln an den Hochschulbudgets. 2012 nahmen die Hochschulen 6,7 Milliarden Euro zusätzlich ein.. Die wirtschaftsnahen Fächer profitieren auch bei den Drittmitteln mehr als andere Fachbereiche. Die Hälfte aller Drittmittel von Unternehmen fließt in die Ingenieurswissenschaften, jährlich sind das rund 800 Millionen Euro.

Welche Kooperationen an den Universitäten bestehen, ist aber oft undurchsichtig. Viele namhafte Unternehmen in Deutschland bezuschussen nicht nur Lehrstühle, sondern statten Forschungszentren mit Geräten aus, versorgen Professoren mit Forschungsaufträgen, entsenden Mitarbeiter als Dozenten oder sponsern einzelne Projekte oder Veranstaltungen. „Die Hochschulen täten sich einen großen Gefallen, wenn sie von sich aus Kooperationen, Geldgeber und auch Summen offen legen würden“, glaubt Göbbels-Dreyling von der Hochschulrektorenkonferenz. „Wir haben in Deutschland eine kritische Hochschulöffentlichkeit, was solche Themen angeht.“

In der Tat begegnet man in Deutschland privat finanzierter Forschung und Lehre mit großer Skepsis. Vielleicht würde sich das Verhältnis zu unternehmerischen Perspektiven an der Hochschule entspannen, wenn über das Finanzierungsmodell nachgedacht würde. In der bestehenden Form werden Universitäten dafür belohnt, wirtschaftsferne kleine Fächer abzustoßen und durch „leistungsstärkere“ zu ersetzen.

Dieser Text erschien in der taz.am wochenende in der Rubrik Sachkunde: Seite 1Seite 2