Textbeitrag

Neonazis zu verjagen gibt Flüchtlingen noch keine Zukunft

Tausende Berliner haben einen NPD-Marsch durch ihr Multi-Kulti-Viertel Kreuzberg verhindert. Trotzdem fühlen sich Flüchtlinge in Deutschland vom Staat im Stich gelassen.

Dort, wo die Rechtsextremisten bei der geplanten NPD-Demo eigentlich hin wollten, herrschte an diesem Samstagvormittag Ruhe. Neben der Hofeinfahrt der von Flüchtlingen besetzten Gerhart-Hauptmann-Schule in Berlin-Kreuzberg steht ein Polizeibus, Platanen werfen Schatten auf einen Infostand über Flüchtlingspolitik, auf dem Hof vor dem Gebäude verbreitet ein Radio den Gesang arabischer Suren.

Ein paar Männer stehen herum, unter ihnen Galal aus dem Sudan. „Ich hoffe, die Nazis kommen hierher. Dann bringen wir sie um.“ Galal, weiße Bartstoppeln, Mitte 40, weist auf die Umstehenden. „Die Leute kommen hier aus Bürgerkriegsländern. Sie sind Tod gewöhnt.“

Am mittlerweile geräumten Flüchtlingscamp am Oranienplatz und vor der besetzten Schule hätte die NPD gerne gegen Flüchtlinge demonstriert. Ein Versuch, die teils schwindende Geduld der Anwohner für die ungelöste Flüchtlingsproblematik in Berlin für ihre Ziele auszunutzen. Immer wieder kommt es in der besetzten Schule zu Streitigkeiten und Gewalt. Einige Flüchtlinge verkaufen Drogen im benachbarten Park.

Der Oranienplatz ist zur Chiffre einer hilflosen Politik geworden, die nicht mehr für Recht und Ordnung sorgen und die rechtswidrige Besetzung öffentlicher Plätze vermeiden kann. Deshalb wollte die rechtsextreme NPD direkt durchKreuzberg marschieren. Der Berliner Senat verweigerte ihr jedoch die gewünschte Route. Die NPD in Kreuzberg ist ein unkalkulierbares Risiko für die Anwohner. Die letzte erlaubte NPD-Demonstration in diesem Berliner Stadtteil endete in einer regelrechten Hetzjagd auf dunkelhäutige Menschen.

Galal wird später an den Straßenblockaden teilnehmen, die den rund 100 Rechtsextremisten jeden Zugang nach Kreuzberg verwehren wird. Doch die meisten Flüchtlinge, die die NPD am Liebsten aus Berlin vertreiben wollte, trauen sich nicht dorthin. „Nicht wegen der Nazis, sondern wegen der Bullen“, erklärt Tommy, der den Infostand betreut. Würden sie aufgegriffen, könnte die Polizei sie in Abschiebehaft nehmen, weil sie die Residenzpflicht verletzt haben, als sie aus anderen Bundesländern nach Berlin gereist sind.

Mit Reggae gegen Neonazis

„Umso wichtiger, dass wir hier sind“, sagt ein DJ dort, wo sich die Flüchtlinge vom Gelände der Gerhart-Hauptmann-Schule nicht hintrauen. Direkt am Moritzplatz, der an der genehmigten NPD-Route liegt, haben Musiker und Bühnenbauer zusammen ein Podest errichtet. Reggae-Musik hallt über den Kreisverkehr, auf der Verkehrsinsel sitzen junge Leute im Gras. Die Organisation „Bündnis gegen Nazis“ verteilt Plakate. Gute-Laune-Musik gegen Nazis?

Das war eine spontane Idee, um die Proteste zu unterstützen, sagt der DJ, der nicht mit Namen genannt werden will. „Wenn wir die Aufmerksamkeit nicht erhalten, werden die Nazis eines Tages nach Kreuzberg kommen. Das darf nicht sein.“ Deshalb fordern er und seine Kollegen am Mikrofon die Anwesenden auf, Richtung Jannowitzbrücke zu gehen, dort wo die NPD-Demo starten soll. „Geht alle dorthin und seht, dass sie hier nicht rüber kommen.“ Hier rüber, über die Spree nach Kreuzberg. Der Ort, der wie kein Zweiter im Land für die Integration von MigrantInnen und für ein friedfertiges Miteinander verschiedener Kulturen und Religionen steht. Das wird hier als Provokation für das Einwanderungsland Deutschland verstanden.

So sieht es auch der Grünen-Abgeordnete Hans-Christian Ströbele. „Die NPD in Kreuzberg, das geht natürlich nicht. Woanders ist das natürlich nicht besser, aber hier ist das eine Zumutung für alle.“ Ströbele, der mit einem Direkt-Mandat für dem Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg und Prenzlauer Berg Ost im Bundestag sitzt, kommt gerade mit dem Fahrrad von der Jannowitzbrücke. „Ich hab 83 auf Seiten der NPD gezählt“, sagt Ströbele, kariertes Hemd, die Hand auf den Fahrradlenker. „Und über tausend Gegendemonstranten. Die Rechten sind von allen Seiten eingekesselt.“

Politiker, Gewerkschaften, Organisationen und Verbände. Mehr als 4.000 Bürger haben die geplante NPD-Demonstration verhindert. Letztlich mussten die Rechtsradikalen schon nach wenigen hundert Metern aufgeben, weil sämtliche Routen über die Spree nach Kreuzberg von Gegendemonstranten blockiert waren. Dennoch waren nicht alle Protestierenden zufrieden. „Es müssten viel mehr hier protestieren“, sagt eine Türkin. „Von meinen Bekannten hat sich keiner getraut mitzukommen. Aber es ist wichtig, zu zeigen, dass wir Ausländer niemandem die Arbeit wegnehmen.“

Als die NPD am Nachmittag ihre Demonstration offiziell für beendet erklärt, sind die Aktivisten zufrieden: „Die Neonazis mussten nach Hause fahren und hatten keinen guten Tag“, sagt ein Mitarbeiter vom Bündnis „Berlin Nazifrei“. Unterdessen hat der NPD-Landeschef Schmidtke bei der Berliner Polizei angefragt, die Demonstration im Stadtteil Köpenick weiterführen zu dürfen. Die Polizei prüft derzeit die Anfrage.

„Für uns sind die Nazis nicht das eigentliche Problem“, sagt der sudanesische Flüchtling Galal. „Es ist ja verständlich, dass die Deutschen hier sauer werden auf uns. Wenn wir Drogen verkaufen müssen, weil wir nicht anders Geld verdienen dürfen. Das Problem ist: Wir sind dem deutschen Staat egal.“