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Türöffner für den Bundeswehreinsatz im Innern?

Die Regierung plant Änderungen bei der Terrorabwehr. Die Opposition befürchtet, dies könne zu einer Aufweichung der Trennung zwischen Polizei und Bundeswehr führen.

Der Verteidigungsminister soll künftig im terroristischen Gefahrenfall auch ohne Rücksprache mit dem Kabinett den Einsatz von Kampfjets befehlen können. Das sieht eine geplante Grundgesetzänderung der großen Koalition vor. Sie will damit eine „gravierende Schutzlücke“ schließen.

Als solche bezeichnete das Bundesverfassungsgericht vor einem Jahr das Dilemma des Verteidigungsministers, bei terroristischen Angriffen wie zum Beispiel Flugzeugentführungen erst das gesamte Kabinett befragen zu müssen, bevor er die Bundeswehr im Inneren einsetzen darf. Der Grund dafür liege in der deutschen Verfassung.

Die große Koalition will deshalb Artikel 35 des Grundgesetzes ändern. Sie begründet dies mit der Zeitknappheit im Notfall: „Bei akuter Gefahr bleiben nur Minuten für eine Entscheidung. Die Einberufung einer Kabinettssitzung ist da praktisch unmöglich“, sagte der Parlamentarische Staatssekretär im CDU-geführten Bundesinnenministerium, Günter Krings, Spiegel Online.

Der Abschuss eines entführten Passagier-Flugzeugs bleibt jedoch nach wie vor tabu. Als das Luftsicherheitsgesetz 2005 verabschiedet wurde, sah es die Möglichkeit eines „finalen Rettungsschusses“ im Luftverkehr vor. Waffengewalt war  demnach zulässig, „wenn nach den Umständen davon auszugehen ist, dass das Luftfahrzeug gegen das Leben von Menschen eingesetzt werden soll, und sie das einzige Mittel zur Abwehr dieser gegenwärtigen Gefahr ist“. Das Bundesverfassungsgericht verwarf den den entsprechenden Paragrafen aber wenig später als verfassungswidrig.

Nur eine Maschine, die ausschließlich mit Terroristen besetzt sei, dürfte auf Entscheidung eines einzelnen Ministers abgeschossen werden. Befinden sich Zivilisten an Bord, so urteilte Karlsruhe 2012, dürfen Kampfjets das gekaperte Flugzeug lediglich abdrängen oder mit Warnschüssen zur Landung zwingen.

Die SPD ist mit der Änderung im Grundsatz einverstanden, fürchtet jedoch, dass nun die Diskussionen um den Einsatz der Bundeswehr im Inneren erneut hochkochen könnten. „Die Reglung war notwendig, um den Nachbesserungswünschen des Bundesverfassungsgerichts nachzukommen“, sagte Michael Hartmann, Sprecher der Fraktionsarbeitsgruppe Inneres, ZEIT ONLINE. Darüber hinaus gebe es jedoch keinen Anlass, den Einsatz der Bundeswehr im Inneren auszuweiten.

Im Hinblick auf den Abschuss von Flugzeugen sei die Änderung wenig relevant. Denn dies dürfe der Verteidigungsminister ja auch in Zukunft nur treffen, wenn keine Zivilisten an Bord seien. „Wie will man das in zehn Minuten feststellen?“, fragt sich Hartmann.

Die Opposition sieht die Änderung gleichwohl kritisch. „In dem Moment, in dem so eine weittragende Entscheidung vom Kabinett auf eine einzelne Person verlagert wird, erfolgt schon eine Aufweichung der hohen Hürden für den Einsatz der Streitkräfte im Inneren“, sagte Irene Mihalic, Sprecherin der Grünen-Fraktion für Innere Sicherheit, ZEIT ONLINE. „Mit diesem Entwurf besteht die Gefahr, dass die strikte Trennung von Bundeswehr und Polizei, wie sie in Artikel 35 geregelt ist, weiter aufgeweicht wird.“

Warum dieser Gesetzesentwurf zwei Jahre nach der richterlich festgestellten „Schutzlücke“ kommt, erschließt sich der Grünen Mihalic ebenfalls nicht. Sie vermutet, dass mit der Kompetenzerweiterung des Verteidigungsministers das Tor für Militäreinsätze in Deutschland weiter geöffnet werden soll.

Bislang sind die Auflagen für einen verfassungsmäßigen Einsatz von „militärischen Kampfmitteln“ in Deutschland sehr hoch. So urteilte das Bundesverfassungsgericht 2012, dass dafür eine „Ausnahmesituationen katastrophischen Ausmaßes“ vorliegen müsse. Und selbst in diesem Szenario sei ein Einsatz der Bundeswehr nur als „letztes Mittel“ zulässig.

Ob die geplante Änderung des Grundgesetzes jedoch die erforderliche Zweidrittelmehrheit auch im Bundesrat erhält, ist unsicher. Die Stimmen der schwarz-rot geführten Länder reichen dafür nach derzeitigem Stand jedenfalls nicht aus. Sollte der Gesetzesentwurf an der Opposition scheitern, wären darüber aber wohl auch in der SPD-Fraktion viele nicht allzu traurig.