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Unsere Werte, Eure Propaganda

TV-Sender aus China, Russland und Katar erreichen mit alternativen Perspektiven immer mehr Zuschauer. Westliche Medien fürchten um ihre Deutungshoheit.

Man erkennt es schon an den Schlagzeilen. „Krim ignoriert den Westen und bereitet Referendum vor“, lautete die Schlagzeile des Nachrichtensenders CNNvor der Abstimmung am Wochenende. Der russische Staatssender RT konterte: „Ideologie-Saat aus EU und USA verursacht Krise in der Ukraine„.

Um die Krim tobt ein Informationskrieg. Westliche und russische Medien ringen um die Deutung der Ereignisse, hüllen ihre Weltsicht in Berichte und werfen sich gegenseitig Lügen vor. Es ist die jüngste Eskalation eines Kampfs um medialen Einfluss, der längst weltweit im Gang ist.

Dabei sind die Fronten zunehmend verhärtet. Aus westlicher Sicht war beispielsweise der Ruf der russischen Medien noch nie sonderlich gut. Das Verständnis war immer: Wir liefern Informationen, Russlands Staatspresse lullt das Volk mit Propaganda ein.

Seit einigen Jahren investieren neben Russland vor allem Katar und China massiv in ihre mediale Außenwirkung. Sie wollen den westlichen Auslandssendern ihre bisherige Dominanz in den meisten Weltregionen streitig machen. CNN, BBC und ihre deutschen und französischen Pendants reagieren darauf abwehrend. Sie werfen Russen und Chinesen vor, keinen unabhängigen Journalismus zu betreiben.

Was wiederum die Frage aufwirft, wie unabhängig eigentlich die westlichen Sender sind. Schließlich haben auch sie einen klaren Auftrag: die Werte des jeweiligen Landes zu verbreiten. Von Freiheit und Aufklärung und Bildung und auch der Förderung von wirtschaftlichem Fortschritt ist in den Senderaufträgen die Rede. Dinge, von denen der Westen will, dass sie universell gültig sind. Nun stellen die rivalisierenden Auslandssender genau diesen universellen Anspruch zumindest in den Medien infrage, indem sie ihre eigene Agenda dagegen setzen.

Sie tun das mit großer Wucht: Vor drei Jahren hatte der chinesische Staatssender CCTV 49 Auslandsmitarbeiter. Heute sind es 446, so viele wie beim britischen Flaggschiff BBC. In Afrika ist CCTV nach eigenen Angaben der meistgesehene Sender. Anfang 2012 entstanden dort und in Washington Regionalstudios. In London, Hongkong und Rio de Janeiro sollen weitere folgen. Während das Budget der Deutschen Welle (DW) in den letzten 15 Jahren um 40 Prozent gekürzt wurde, leistete sich China die hochmoderne CCTV-Zentrale in Peking, entworfen von Star-Architekt Rem Koolhaas.

CNN-Legende Larry King wechselt zu russischem Staatsfernsehen

Auch das katarische Al Jazeera und der vom russischen Kreml finanzierte Sender RT werden immer beliebter. Al Jazeera hat mittlerweile in den USA, auf dem Balkan, in Ostafrika und in der Türkei eigene Ableger aufgebaut. RT erregte Aufsehen, als er mit einer Milliarde Klicks zum beliebtesten Sender auf Youtube wurde. In den USA ist er mittlerweile der zweitbeliebteste Auslandssender, in Großbritannien ist RT auf Platz drei. Das liegt auch an Stars wie der CNN-Entertainer-Legende Larry King oder Julian Assange. RT wirbt namhafte Moderatoren bei der Konkurrenz ab, beschäftigt 2.000 Journalisten und unterhält auf Kosten des russischen Staates 22 Büros weltweit.  Al Jazeera, RT, CCTV – Sie alle wollen ein globales Nachrichtennetzwerk aufbauen wie es CNN oder BBC schon vor Jahrzehnten aufgespannt haben.

Der Propaganda-Vorwurf, mit dem die westlichen Sender diese Expansion kontern, ist einerseits richtig –wenn es um den Grad der Kontrolle geht, dem viele der Medien, die zu autokratischen oder diktatorischen Staaten gehören, ausgesetzt sind. Von oben vorgegebene Sichtweisen und eine strenge, politische Hierarchie, die freies journalistisches Arbeiten verbietet, kommen häufiger vor als in westlichen Medien. Andererseits ist nicht alles, was auf RT oder Al Jazeera läuft, gleich ein Verstoß gegen Menschenrechte oder schlimme Zensur. Das Verteufeln dürfte auch aus der Sorge um eigene mediale Einflusszonen erwachsen. Es wäre für die westlichen Sender einfach bequemer, keine Konkurrenten zu haben.

Bisher dominieren sie die globale Informationsversorgung. Der US-Informationssender CNN International erreicht nach eigenen Angaben eine halbe Milliarde Menschen in 212 Ländern und Gebieten und hat Töchtersender in der Türkei, Spanien, Lateinamerika, Mexiko, Indien, Japan, Chile und für die arabische Welt. Der Fernsehsender der Deutschen Welle sendet seit zwanzig Jahren „aus der Mitte Europas„, auf Deutsch, Englisch, Spanisch und Arabisch. Und der Sender BBC verbreitet mit seinem staatlich finanzierten World Service Nachrichten in 27 Sprachen. Bereits 1932 nahm das Auslandsradio den Betrieb auf – damals noch unter dem Namen BBC Empire Service.

Die Antwort, die sie nun auf die neue Konkurrenz geben, kennt man aus dem Kalten Krieg. Sie lautet: Hochrüsten. DW-Intendant Peter Limbourg forderte gerade mehr öffentliche Gelder, unter anderem für den Ausbau englischsprachiger Inhalte. Andere Länder begriffen Auslandssender auch mehr als „nationale Aufgabe“, sagte Limbourg mit Blick auf die Konkurrenz, auch wenn er nicht explizit von Al Jazeera & Co. sprach. Und BBC-Generaldirektor Tony Hall gab das Ziel vor, die internationale Reichweite des Senders bis 2022 auf 500 Millionen Menschen zu verdoppeln. Hall glaubt, noch einen Vertrauensvorsprung auf der Welt zu haben, weil die Konkurrenten im Gegensatz zu ihm nur Prestigekampagnen veranstalten würden. Ein Hauch von Systemwettkampf des Kalten Krieges liegt in der Luft.

Als vor zwei Jahren der spanischsprachige Auslandssender des Iran Hispan TV in Lateinamerika startete, wurde das als geostrategischer Schachzug gewertet. Venezuela, Kuba und Nicaragua seien neben „Russland, China, Syrien und Nordkorea die letzten verbliebenen Verbündeten des Gottesstaates“, bemerkte dieZeitschrift für den Orient Zenith.

Europa entzog dem Iran im vergangenen Jahr die Lizenz für sein Satellitenprogramm, weil ein TV-Sender nach Urteil der britischen Medienaufsicht Ofcomgegen journalistische Standards verstoßen habe. Ein Mann soll gegen Androhung von Gewalt zum Interview gezwungen worden sein. 19 Sender der iranischen Rundfunkgesellschaft, darunter Hispan TV und der englischsprachige Auslandssender Press TV, sind deshalb nicht mehr im Programm der beiden großen europäischen Satellitenbetreiber Eutelsat und Intelsat zu finden.

Wahr dürfte auch sein, dass man dem latent israelfeindlichen Weltbild der iranischen Mullahs in Europa keinen Raum geben will. Diese Sichtweise ist so weit weg von dem, was hier als akzeptabel gilt, dass ein solcher Sender anscheinend schlicht nicht erträglich ist. Dem Gegner wird der Saft abgedreht.

Andersrum ist das schon lange der Fall. Die Deutsche Welle wirft dem Iran vor, ihre Sendungen dort gezielt zu stören und die DW-Website zu blockieren. In demEvaluationsbericht 2010-2013 brüstet sich die DW nun damit, erfolgreich die iranische Zensur zu umgehen. Die DW bietet die Inhalte über spezielle Server an. Vielleicht zieht der iranische Sender ja eines Tages nach und verbreitet seine im Westen unerwünschte Weltsicht ebenso auf solch kreativen Wegen. Das Wettrüsten läuft.

Besonders umkämpft sind die Gebiete, in denen der Westen eine schwere Position hat: Afghanistan und Irak. In beiden Ländern will der Westen den Einfluss des Irans eindämmen, der seinen Nachbarn jedes Jahr Hunderte Millionen an Aufbauhilfe zahlt. Ein Teil davon fließt in die Medienlandschaft. Rund ein Drittel der afghanischen und die Hälfte der irakischen Medien waren vor zwei Jahrenfinanziell oder inhaltlich vom Iran abhängig, berichtet die Agentur Reuters.

Die Deutsche Welle ist wie das US-Pendant Voice of America, die BBC, und der französische Auslandssender RFE in Afghanistan sehr aktiv: Radioprogramme, Onlineangebote und natürlich Facebook-Seiten auf Dari und Paschtu sollen „Träger wirtschaftlicher Entwicklung, politischen Kultur und sozialer Veränderung“ ansprechen. Im Irak unterstützt die DW-Akademie die Nachrichtenagentur Aswat Al-Iraq.

Das simple Beharren auf der „Wir sind die Guten, die anderen machen nur Propaganda“-Argumentation allerdings bringt noch keine Zuschauer. Die Attraktivität, die von alternativen Sichtweisen ausgeht, hat Al-Jazeera mit seiner Berichterstattung aus den Ländern des Arabischen Frühlings gezeigt.

Seit Jahresbeginn wird der World Service erstmals nicht mehr vom britischen Außenministerium finanziert. Das soll die BBC glaubwürdiger machen. Schließlich will man den Eindruck vermeiden, die BBC spreche im Namen der britischen Regierung.