Textbeitrag

Digitale Minimalisten

Weniger ist oft mehr. Dieses Motto gilt auch bei technischen Neuerungen: Handy, Laptop oder Smartphone werden zu immer kleineren und leichteren Alleskönnern. Damit ermöglichen sie ein digitales Nomadentum, das auf immer weniger materiellen Besitz angewiesen macht.

Ein MacBook, ein iPhone, dazu Internetanschluss– mehr braucht es heute nicht, um Baupläne zu entwerfen,Webseiten zu programmieren oder Festivals zu organisieren. Architekten, Programmierer und Projektleiter können auch von unterwegs oder jedem beliebigen Punkt der Welt aus arbeiten. So weit, so praktisch.

Liest man nun in den Blogeinträgen und auf den Websites ortsungebunderer Freischaffender, stellt man fest: Für einige ist aus der pragmatischen Notwendigkeit, sich beim Reisegepäck zu reduzieren, ein Lebensstil geworden, der die Anhäufung von materiellem Besitz als solches ablehnt. Als „digitale Minimalisten“ bezeichnen sich diejenigen, die ihm anhängen. Sie sind überzeugt, dass ein Verzicht auf materiellen Besitz nicht mit einem Verlust von Wohlstand oder Lebensqualität einhergeht. Im Gegenteil, der Verzicht erlöst von unnötigem Ballast, erleichtert Umzüge und rasche Ortswechsel. Eine konsumkritische Haltung ist Teil, aber nicht Kern der Weltanschauung. Im Vordergrund steht die persönliche Freiheit.

Zurzeit entdeckt die Internet- Community Minimalismus als Trend. Im Juni berichtete das Internet-Ökonomie-Blog netzwertig.com von einem deutschen Unternehmer, der seinen persönlichen Besitz auf 100 Habseligkeiten reduziert hat. Kurz darauf erklärt der Gründer eines Internet-Startups auf dem Portal netzpiloten.org, mit 35 persönlichen Gegenständen auszukommen. All sein Hab und Gut passe in einen Rucksack, erklärt der Minimalist, der zwischen Wien und dem Silicon Valley pendelt. Warum gerade digital Affine für diesen Lebensstil offen sind, erklärt der Mann, dem 35 Gegenstände reichen, mit der unmittelbaren Verfügbarkeit vieler Dienste, an die uns das Internet gewöhnt habe: „Oft macht es mehr Sinn, sich Dinge just in time auszuborgen, anstatt sie für den Fall der Fälle zu besitzen.“

Eines lassen die Minimalisten dabei außer Acht, wie ein Blog-Kommentar bemerkt: die Anhäufung von digitalem Ballast. So ergibt sich das Paradox, dass sich die digitalen Minimalisten dem materiellen Besitz entledigen, sich aber kaum vor dem digitalem wehren können.

Der Text erschien in der taz in der RubrikNeues Denken: Digitale Minimalisten„.