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Smarter Traktor

Cowdfunding ist nach Jahren der Lethargie in Österreich angekommen. Für kreative Unternehmer und Start-Ups werden alternative Finanzierungsformen immer wichtiger.

Für die Revolution in der Landwirtschaft benötigt Bernhard Peschak zwei Kameras, einen handelsüblichen PC und ein paar Algorithmen. Mit Augen, Gehirn und Verstand ausgestattet fährt sein autonomer Traktor ganz von selbst über den Acker. Er pflügt, sät, düngt und erntet, ohne Bauer am Steuer. Was nach einer Spinnerei klingt, ist das Ergebnis jahrelanger Forschung und könnte den Arbeitsalltag eines Berufsstandes auf den Kopf stellen.

In der Gemeinde Heldenberg im Weinviertel, einer der Kornkammern Österreichs, stößt diese Aussicht auf offene Ohren. Mehr als hundert Gäste sind im Januar ins örtliche Oldtimermuseum gekommen, um sich Peschaks Vortrag anzuhören, darunter viel Landwirte. Sie hören, was der Traktor alles im Alleingang vermag: Unkraut von Nutzpflanzen unterscheiden, Hindernissen ausweichen, den Stickstoffgehalt des Bodens messen. »Wir haben weltweit einen Wissensvorsprung von drei, vier Jahren«, ist Peschak überzeugt. Der einzige Haken: Den smarten Traktor gibt es noch nicht zu kaufen. Derzeit testet der Ingenieur Prototypen an geheimen Orten. Um die Technologie marktreif zu kriegen, braucht seine Firma mindestens 77 000 Euro. Doch Peschak will nicht auf die Bank gehen, die Sicherheiten für einen Kredit hat er nicht. Er ist nach Heldenberg gekommen, um private Anleger zu finden. Crowdfunding soll sein Traktor-Projekt ins Rollen bringen.

Kreative Unternehmer sind längst nicht mehr auf Großinvestoren angewiesen, um eine Geschäftsidee zu verwirklichen. Wer heute einen Facebook-Roman auf Klopapier drucken oder fair gehandelten Biogrüntee vermarkten will, stellt seine Idee einfach auf einer Internetplattform vor, gibt das gewünschte Kapital und die Laufzeit an, und muss nur noch genügend Unterstützer finden, die dafür Geld überweisen.

Ärger mit der Finanzaufsicht

Lange war das in Österreich fast undenkbar, erst durch den Kreditfall Staudinger wurde Crowdfunding ein Begriff. Der alternative Schuhhersteller Heini Staudinger handelte sich Ärger mit der Finanzaufsicht ein, weil er sich bei Verwandten und Freunden Geld borgte – aus Sicht der Behörde ein illegales Bankgeschäft. Staudingers trotzige Reaktion erntete viel Zuspruch, selbst die Politik griff das Thema auf. SPÖ und ÖVP versprachen 2013 ein eigens Crowdfunding-Gesetz, legten aber einen Entwurf vor, der den Unternehmern bereits ab einer Summe von 250 000 Euro vorschrieb, einen teuren Kapitalmarktprospekt erstellen zu müssen. Betreiber von Crowdfunding-Plattformen und einige Parteien forderten, diese Prospektpflicht erst ab fünf Millionen Euro zu verlangen, wie es die EU-Bestimmungen erlauben. Vergangene Woche kündigte die Regierung an,  diese Kritik in dem Crowdfundinggesetz zu berücksichtigen. »Der neue Entwurf erfüllt 90 Prozent unserer Forderungen«, freut sich NEOS-Abgeordneter Niko Alm. »Österreich muss die Schwarmfinanzierung endlich als ergänzendes Instrument begreifen.« Im Gegenzug müssen Plattformbetreiber bei der Finanzaufsicht Konzessionen erwerben oder eine Gewerbeberechtigung vorlegen.

Die Schwarmfinanzierung boomt in Europa, wie eine Studie der Universität Cambridge und Ernst & Young zeigt. Mit Beginn der Bankenkrise 2008 wurde es schwerer, an Kredite zu kommen, und die Nachfrage nach alternativen Finanzierungsformen schnellte in die Höhe. Fast drei Milliarden Euro setzten 255 Onlineplattformen 2014 um. Das entspricht einem Wachstum von 144 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. In Österreich wurden 2014 insgesamt 3,6 Millionen Euro von privaten Geldgebern eingesammelt, vier Mal so viel wie 2013. Gemessen am Nachbarland Deutschland (150 Millionen Euro) oder an Großbritannien (2,3 Milliarden Euro) ist das immer noch wenig, doch der Trend weist steil nach oben.

Das beobachtet auch Wolfgang Gumpelmaier, der Crowdfunding-Workshops anbietet. »Mittlerweile gibt es sehr ansprechende nationale Plattformen, gerade im Bereich nachhaltige Geldanlagen«, sagt er. Bei kreativen Projekten bevorzugten die Österreicher aber nach wie vor deutsche oder amerikanische Plattformen. Das könnte sich bald ändern, glaubt er: »Offenbar erkennt die Branche nun das Potential der heimischen Kreativszene«. Zuletzt gingen gleich drei neue Plattformen online. Eine davon ist die Seite wemakeit.at. Dort will sich etwa die Wiener Soulband N.I.K.O. ihre Tournee finanzieren lassen. Wer zehn Euro überweist, erwirbt eine Eintrittskarte, bei 20 Euro gibt es ein CD-Album obendrauf, bei 400 sogar ein Wohnzimmer-Konzert. Andere Projekte werben mit einem ganzheitlichen Supermarkt oder einem Onlinemarktplatz für Designerstücke um die Gunst der Crowd. Privatkredite, wie sie Staudinger einst sammelte, sind aber nach wie vor tabu.

Technik aus der Militärforschung

Erlaubt sind beispielsweise Anlagen, die private Darlehen nachrangig behandeln. Das heißt: Andere Gläubiger wie Banken müssen im Falle einer Insolvenz zuerst bedient werden. Für Anleger ist das Verlustrisiko damit höher. Dafür sind die Zinsen meist sehr hoch. Auch Bernhard Peschak hat sich für diese Art der Kapitalbeschaffung entschieden. Großinvestor wollte er keinen, da er sonst Anteile an seiner Firma »Peschak Autonome Systeme« abtreten hätte müssen. Er schrieb drei Plattformen an, stellte seine Geschäftsidee vor und entschied sich für einen der drei großen Anbieter, Conda. Vier Monate lang konnten Privatpersonen in den schlauen Traktor investieren. Wer sich dazu entschieden hat, streicht im Jahr fünf Prozent Zinsen ein.

Bis Mitte März stellten 128 Anleger insgesamt 80 400 Euro bereit. Manche von Ihnen haben sich erst zur Investition entschieden, nachdem sie Peschak in Heldenberg persönlich kennen lernten. »High-Tech ist den Menschen immer ein bisschen unheimlich«, sagt Peschak. »Vor allem, wenn man nicht zu viele Details preisgeben darf.« Der gelernte Maschinenbauer, Jahrgang 1964, forscht seit 2009 an der Fachhochschule Technikum Wien an Autonomen Systemen und leitet die Abteilung Fahrzeug- und Gerätetechnik beim österreichischen Bundesheer. In der Burstyn-Kaserne in Zwölfaxing steht der militärische Vorgänger des autonomen Traktors – der »X58 SafeCon«, ein selbst fahrender Transportlastwagen. Peschaks Forschungsgruppe hat den Prototyp mitentwickelt. Die verwendete Technologie steckt nun in seinem Traktor.

Mit Hilfe von Stereokameras zeichnet das System ein 3-D-Bild und steuert das Gefährt in Echtzeit. Die Konkurrenz, beispielsweise die deutsche Firma Claas, lenkt ähnliche Traktoren mit der Hilfe von GPS-Signalen. In Peschaks Augen ist diese Methode weniger zuverlässig. Die Tests seien erfolgreich verlaufen, schwärmt er, und erzählt von den Sommern seiner Kindheit, die er auf dem Bauernhof seines Onkels verbrachte. In der smarten Maschine verschmelzen seine großen Leidenschaften: Die Liebe zur Natur und die Liebe zur Robotik. Mit dem eingesammelten Kapital kann Peschak staatliche Fördergelder beantragen. Damit ist das Projekt finanziell abgesichert.

110 Unternehmensgründungen pro Tag

»Der Traktor ist ein gutes Beispiel dafür, wie Crowdfunding als Anschubfinanzierung funktioniert«, sagt Alfred Heiter, Bereichsleiter Finanzpolitik und Recht in der Industriellenvereinigung. »Auch wenn die wenigsten Unternehmen mit Crowdfunding allein finanziert werden könnten, spielt diese alternative Finanzierung bei Start-Ups eine zunehmende Rolle.« Nach Angaben der Wirtschaftskammer (WKÖ) werden in Österreich jeden Tag 110 Unternehmen gegründet. Viele von ihnen hätten Finanzierungslücken, weil die Bankenfinanzierung an ihre Grenzen gestoßen sei, stellte WKÖ-Präsident Christoph Leitl bei der Präsentation der Gründerstatistik 2014 fest. Alternative Finanzierungsmöglichkeiten wie Crowdfunding seien daher dringend notwendig. Die Banken empfinden das nicht als Bedrohung, im Gegenteil. Bawag PSK und Erste Bank experimentieren selbst mit eigenen Plattformen.

Wie die alternative Finanzierung für Investoren attraktiver werden könnte, weiß Conda-Geschäftsführer Paul Pöltner. Als Vorsitzender des Arbeitskreises Crowdinvesting-Plattformen erarbeitet er Vorschläge für die Wirtschaftskammer. Er wünscht sich steuerliche Anreize für Geldgeber. Derzeit müssen Investoren ihre Zinsen versteuern, wenn sie im Jahr mehr als 730 Euro an »sonstigen Einkünften« verbuchen. Auch die Kapitalnehmer könnten mehr Anreize setzen, sagt Pöltner: »Ich glaube, dass Crowd-Investoren generell stärker am Gewinn beteiligt werden wollen«.

Bei Peschaks Unterstützern dürfte die Aussicht auf Rendite weniger relevant gewesen sein. »Unter meinen Investoren sind viele Umweltschützer«, bestätigt er. »Sie finden es toll, dass unser Traktor nur dort Pestizide versprüht, wo tatsächlich Unkraut wächst.« Peschak hofft dadurch auf eine Spritzmittel-Einsparung von bis zu 90 Prozent. Die meisten anderen Investoren kommen aus der Landwirtschaft. Mit ihrer Beteiligung wollen die Bauern hauptsächlich sicherstellen, dass die Idee umgesetzt wird, sie bald weniger arbeiten müssen und sich Geld für Düngemittel und Pestizide sparen.

Noch während der Finanzierungsphase erhielt Peschak drei Aufträge von internationalen Unternehmen. Bis Ende kommenden Jahres könnte der Super-Traktor serienreif sein, schätzt er. Sollte seine Erfindung eine neue Ära der Landwirtschaft einläuten, hätten das die Landwirte auch 128 Kleinanlegern zu verdanken.

Erschienen am 01. April im Österreichteil der ZEIT unter dem Titel „Einer für Alle“