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„Und wenn unser Schiff nur einen einzigen Flüchtling rettet“

Eine Gruppe junger Aktivisten will ein Frachtschiff anheuern, um Flüchtlinge in Seenot an Bord zu nehmen. Doch was dann?

ZEIT ONLINE: Herr Schoen, Sie haben Jugend Rettet gegründet mit dem Ziel, Flüchtlinge im Mittelmeer vor dem Ertrinken zu retten. Wie wollen Sie das anstellen?

Jakob Schoen: Wir stehen kurz davor, ein eigenes Schiff kaufen zu können. Zwei Privatpersonen haben zusammen 150.000 Euro in Aussicht gestellt, wenn wir bis Ende März selbst 80.000 Euro zusammenbringen. Mit dem Eigenanteil finanzieren wir den Umbau, den Transport nach Italien und die laufenden Kosten für den ersten Einsatzmonat im Mittelmeer.

ZEIT ONLINE: Darf man das als Privatperson überhaupt: Seenotrettung spielen?

Schoen: Unser Schiff wird auf der zentralen Mittelmeerroute unterwegs sein, also im internationalen Gewässer. Dort gilt unter anderem das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen, das seit 1994 in Kraft ist. Darin steht: Wenn sich ein Boot in Seenot befindet oder unmittelbar davor ist, in Seenot zu geraten, dann ist man verpflichtet, die Insassen zu retten. Wenn man das nicht tut, macht man sich strafbar.

ZEIT ONLINE: Und woher wissen Sie, dass nicht bereits ein anderes Schiff unterwegs ist?

Schoen: Alle unsere Rettungsoperationen werden wir mit dem Seenotkoordinationszentum MRCC (Maritime Rescue Coordination Center) koordinieren, das den Überblick über alle Rettungsschiffe im Einsatz hat. Das MRCC koordiniert den Einsatzablauf. Dann ist es für die Rettungscrew auch rechtlich bindend. Bei akuter Seenot, wenn es um Sekunden geht, retten wir natürlich direkt.

ZEIT ONLINE: Angenommen, Ihr Team rettet 1.000 Somalier vor der italienischen Küste. Was machen Sie mit den aufgegriffenen Flüchtlingen? Nach Lampedusa bringen?

Schoen: Wir müssen die Menschen in einen sicheren Hafen bringen. Also dorthin, wo die Versorgung sichergestellt ist und wo die Geretteten nicht politisch verfolgt werden. Und das ist im Moment nicht Marokko, nicht Libyen und auch nicht Tunesien. Wir werden also Malta oder Italien ansteuern. Aber auch da ist das MRCC in der Pflicht: Sie geben den Zielhafen vor.

ZEIT ONLINE: Was machen Sie, wenn sich Malta oder Italien weigert, die Geretteten aufzunehmen?

Schoen: Das ist insofern nicht möglich, da das MRCC einer italienische Behörde und dem Innenministerium unterstellt ist. Wir haben von den Akteuren vor Ort erfahren, dass es da keine Probleme gibt.

ZEIT ONLINE: Fischer, die Schiffbrüchige retten, machen sich aber nach italienischem Recht der „illegalen Einreise“ schuldig.

Schoen: Von der Bundeswehr oder auch von Seawatch oder MOASwissen wir, dass die italienischen Behörden vor Ort äußerst kooperativ sind. Von solchen Vorfällen oder von Problemen haben sie nicht berichtet.

Private Seenotrettung hat in Deutschland eine gewisse Tradition

ZEIT ONLINE: Private Seenotrettung hat in der deutschen Zivilgesellschaft ja eine gewisse Tradition. 1979 rettete die Cap Anamur11.000 Boatpeople im Südchinesischen Meer. Wie viele Flüchtlinge wollen Sie schaffen?

Schoen: Das ist eine Krisensituation. Unser Ziel ist es, so viele Menschen wie möglich zu retten. Wie viele das sein werden, können wir natürlich nicht sagen. Wir sind über jeden glücklich, den wir in Sicherheit bringen können. Auch wenn unser Schiff nur einen Flüchtling rettet, hat sich der Einsatz gelohnt.

ZEIT ONLINE: Apropos Einsatz: Wer wird denn mit an Bord sein?

Schoen: Die Crew besteht aus elf Personen. Kapitän, Steuermann und Maschinist haben natürlich ein entsprechendes Patent. Die restliche Crew bekommt einen zweiwöchigen Kurs, wie man Sicherheit auf See gewährleistet. Gott sei Dank machen alle ehrenamtlich mit. Ansonsten könnten wir das finanziell nicht stemmen.

ZEIT ONLINE: Momentan fehlen Ihnen noch 19.000 Euro. Wenn das Crowdfunding klappt: Wann sticht Ihr Schiff in See?

Schoen: Es wird eng. Wir sind aber optimistisch, dass es klappt. Dann kaufen wir Anfang April das Schiff und lassen es umbauen. Am 1. Juni spätestens wollen wir das Schiff nach Italien überführen.

ZEIT ONLINE: Und wer bezahlt den Einsatz nach Ende des ersten Monats weiter?

Schoen: Wir rechnen mit laufenden Kosten von 30.000 bis 35.000 Euro pro Monat, je nach Spritpreis. Unser Ziel ist es auf jeden Fall, bis November im Mittelmeer zu bleiben. Dafür werden wir weiter Crowdfunding nutzen, aber auch Stiftungen ansprechen oder Großspender aus dem maritimen Bereich suchen. Außerdem aktivieren wir unser Botschafternetzwerk, das in 29 deutschen Städten Aktionen plant.

ZEIT ONLINE: Steht der Name des Schiffes schon fest?

Schoen: Der Name steht schon fest. Wir können ihn aber erst mitteilen, wenn wir das Schiff, das wir ausgesucht haben, auch gekauft haben.