Schwerpunkt, Textbeitrag

Der Bufdi aus Daraa

 Geflüchtete dürfen in Deutschland nicht gleich studieren oder arbeiten. 
Was viele nicht wissen: ein Bundesfreiwilligendienst ist möglich – und hilft beim Ankommen.

Am Anfang hat Mohammed Deaa al-Ghazawi gezögert mit seiner Zusage. Vielleicht findet er ja doch noch einen richtigen Job, dachte er sich. Und meinte damit: einen richtig bezahlten Job. Einer, bei dem er mehr als maximal 200 Euro Taschengeld im Monat bekommt.

Heute, ein paar Monate später, ist Deaa froh, ein „Bufdi“ zu sein, ein Bundesfreiwilligendienstleistender. Zweimal in der Woche kommt der 21-jährige Syrer ins Begegnungszentrum der Volkssolidarität in Berlin-Mitte, eine der wenigen Wohlfahrtsorganisationen aus der DDR, die heute noch aktiv sind. Hier treffen sich Senioren zum Steppen oder Nähen, für Jüngere gibt es Kurse für Tai-Chi und Yoga und eine Ü50-Disco. Deaa bewirtet hier alte Damen, die im Nebenzimmer Karten spielen, führt Buch über den Getränkeumsatz und erledigt Kurierdienste. Kürzlich hat er sogar die Spülmaschine in der Küche repariert.

20 Stunden in der Woche hilft Deaa, wo er kann. Auch anderen Geflüchteten, die zum kostenlosen Deutschkurs ins Begegnungszentrum kommen. „Ich wollte etwas arbeiten“, erzählt er. „Hier kann ich sogar eigene Projekte machen.“ Derzeit plant Deaa mit einem Bekannten einen Kurs für alle, die lernen wollen, selbst eine Website zu gestalten.

Deaa ist einer von derzeit 731 Geflüchteten in Deutschland, die einen Bundesfreiwilligendienst leisten, den inoffiziellen Nachfolger des Zivildienstes. Im Dezember hat das Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben 10.000 zusätzliche Bufdi-Stellen „mit Flüchtlingsbezug“ geschaffen. Für Geflüchtete wie Deaa, die nicht sofort Arbeit finden und nicht studieren dürfen, gibt es seither diese Alternative.

Als Bufdis können Flüchtlinge etwas Sinnvolles tun und verdienen auch etwas Geld

Deaa ist inzwischen anerkannter Flüchtling. Aber auch Asylbewerber können den Dienst machen, vorausgesetzt, sie kommen nicht aus einem sicheren Herkunftsstaat wie etwa Albanien oder dem Senegal. Als Bufdis können sie etwas Sinnvolles tun, lernen Deutsche kennen, verdienen sogar etwas Geld. Und können, wie in Deaas Fall, in Ruhe die zahlreichen erforderlichen Unterlagen für ein Studium zusammentragen.

Bevor er vor dem syrischen Bürgerkrieg floh, studierte Deaa al-Ghazawi zwei Semester an der Wirtschaftshochschule in Daraa an der Grenze zu Jordanien. Nach seiner Ankunft in Deutschland im Mai vergangenen Jahres konnte er allerdings nicht einfach weiterstudieren. Für die Immatrikulation brauchte er Sprachkenntnisse, Aufenthaltstitel und Schulzeugnisse im Original. All das hatte er nicht. Eine Arbeitserlaubnis bekam er auch nicht, und bis das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge über seinen Asylantrag entschieden hatte, durfte er keinen Integrationskurs besuchen. Deaa wollte aber schnell Deutsch lernen. Sein Cousin aus Hannover schickte ihm einen Link zu einem kostenlosen Deutschkurs in Berlin-Mitte – dem Kurs der Volkssolidarität. Seit April ist sie Deaas Arbeitgeber.

Deaa kann heute anderen Geflüchteten helfen

„Die Stelle hilft Deaa, den Druck rauszunehmen“, ist sich Deaas Vorgesetzte Margit Beutler sicher. Als die Leiterin der Begegnungsstätte Deaa kennenlernte, kam er ihr getrieben
vor. Jetzt wirkt er auf sie weniger unter Strom. Das sieht Deaa rückwirkend ähnlich: „Ich wollte alles auf einmal: Deutsch lernen, studieren, arbeiten. Ich wollte sofort zur Gesellschaft gehören.“

Wer Deaa in seiner Einsatzstelle in der Berliner Torstraße besucht, sieht, wie sehr er dazugehört. Deutschlehrerin Christina, die heute einen Kurs unterrichtet, begrüßt ihn mit einer Umarmung. Deaa steht hinter dem Cafétresen der Volkssolidarität und wartet auf die KursteilnehmerInnen. Er kennt sie alle. Trifft ein bekanntes Gesicht ein, tippt er in eine Liste auf dem Laptop ein großes „A“ hinter den entsprechenden Namen. A für anwesend. Ein syrischer Mann mit Lederjacke, ein Kursteilnehmer, spricht Deaa auf Arabisch an. Er hat eine Frage zum Sprachniveau. Deaa antwortet ihm ausführlich. Er, der hier selbst Orientierung suchte, kann heute andere Geflüchtete beraten.

„Deaa macht es Spaß, mit Menschen zu arbeiten“, beobachtet Margit Beutler. Sie findet gut, dass Deaa als Bufdi die Zeit hat, auch über seine Berufswünsche nachzudenken. Deaa wollte immer in einer Bank arbeiten. Doch seit er sich bei der Volkssolidarität engagiert, ist er sich nicht mehr sicher. Mit einem alternativen Berufsziel zeigt sich Deaa aber noch zurückhaltend: „Vielleicht lerne ich etwas anderes kennen, was mir mehr Spaß macht“, sagt er nur. Seine Chefin will ihn bei der Berufsorientierung unterstützen. „Er soll die Gelegenheit bekommen, herauszufinden, was ihm liegt.“

Eine „bereichernde“ Tätigkeit für die Freiwilligen ist ein Ziel des Bundesfreiwilligendienstes. Unterstützung für die Wohlfahrtsorganisationen im Land ein anderer. Denn seit vor fünf Jahren der Wehrdienst – und damit der Zivildienst – ausgesetzt wurde, fehlen den kirchlichen, zivilgesellschaftlichen oder kommunalen Trägern oft billige Arbeitskräfte. Derzeit sind fast 40.000 Bufdis im Einsatz. Doch im Vergleich zu den „Zivis“ früher sind die Zahlen gering.Anfang der 2000er-Jahre waren es um die 120.000 junge Männer im Jahr, die lieber Essen austeilten oder Behinderte betreuten, als beim Militär strammzustehen, in den Jahren vor der Aussetzung der Wehrpflicht immer noch durchschnittlich rund 80.000.

Die meisten Bufdi-Stellen mit Flüchtlingsbezug sind noch nicht besetzt

Die Geflüchteten, die sich wie Deaa als Bufdis engagieren, sind hochwillkommen. Die fehlenden Kräfte ersetzen können sie aber aktuell nicht. Von den 10.000 Stellen mit Flüchtlingsbezug waren im April erst 2.713 besetzt. „Wir haben mit einem größeren Andrang gerechnet“, sagt Robert Löber. Der Bildungsreferent koordiniert die Freiwilligenstellen bei den Internationalen Jugendgemeinschaftsdiensten (ijgd) in Berlin. Er vermutet, dass das Angebot bei Geflüchteten bisher kaum bekannt ist.

Seinem Verband wurden 100 der neuen Stellen zugeteilt – besetzen konnte Löber davon erst rund die Hälfte: 40 mit Freiwilligen, die Geflüchteten helfen, und zehn mit freiwilligen
Geflüchteten wie Deaa al-Ghazawi. Die neun anderen Flüchtlings-Bufdis arbeiten bei einer Kita, einem Seniorenheim und einem kurdischen Kultur- und Hilfsverein. Bis zum Sommer will Löber für zehn weitere Plätze BewerberInnen mit Fluchtgeschichte gefunden haben –
unter anderem in Berliner Asylbewerberheimen.

Ein Flyer listet die Vorteile für Flüchtlinge auf, die den Freiwilligendienst absolvieren. Er verspricht: eine „normale“ Krankenversicherung statt einer mit „eingeschränkten Leistungen“. Einen zusätzlichen Sprachkurs, der an das Niveau des Integrationskurses anschließt. Die Möglichkeit, Teilzeit zu arbeiten. Und bessere Chancen, später einen Job zu finden.

Da sind noch Plätze frei: Viele Bufdi-Stellen mit Flüchtlingsbezug sind noch unbesetzt. Womöglich, weil Geflüchtete von dem Angebot oft nichts wissen

Für die potenziellen Bufdis, da sind sich Bildungsreferent Löber und Begegnungstreff-Leiterin Beutler einig, gibt es jedoch ein großes Hemmnis: Das Taschengeld, das Bufdis erhalten, wird in jedem Fall beschnitten – unabhängig vom Aufenthaltsstatus. Regulär bekommen Bufdis 372 Euro, Hartz-IV-Empfänger, was viele anerkannte Flüchtlinge zunächst sind, erhalten aber nur maximal 200 Euro. Bei Asylbewerbern, die einen Bundesfreiwilligendienst leisten, wird das Taschengeld noch weiter gekürzt. Auch das steht in dem Flyer, um Enttäuschungen zu vermeiden. Seit kurzem gibt es den Flyer auch auf Arabisch. Übersetzt hat ihn: Deaa al-Ghazawi.