Schwerpunkt aktuell, Textbeitrag

Der deutsche Hochschul-Hürdenlauf

Deutsche Unis sind im Ausland beliebt. Doch wer studieren möchte, muss sich mit der zentralen Prüfstelle Uni-Assist herumschlagen.

BERLIN taz | Alexandra Röck kennt kein Café in der Nähe ihrer Wohnung. „Zum Entdecken hab ich noch keine Zeit“, sagt sie, stellt ihr altes Damenrad ab und blickt suchend durch den Berliner Herbstniesel. „Da drüben vielleicht?“ Röck – dunkle Regenjacke, die Kapuze über ihr braunes Haar gezogen – studiert seit ein paar Wochen Musikwissenschaft in Berlin.

Gerade kommt sie aus dem Kurs „Popmusik und Kultur und Ästhetik digitaler Medien“. Für solche Seminare ist die Österreicherin aus Graz in die deutsche Hauptstadt gezogen. „Meine Wunschfächer in Jazz und Populärmusik gibt es in Österreich nur an einer einzigen Uni“, sagt Röck. „Und da hab ich schon meinen Bachelor gemacht.“ An der Humboldt-Universität sei die Kursauswahl viel breiter. Das, erzählt die 23-Jährige, habe sie von einer Berliner Professorin gehört, die sie auf einer Konferenz zu Popular Music Studies getroffen habe. „Damit kann ich später in Richtung Musiktheater oder Musikjournalismus gehen oder auch in der Forschung bleiben“, schwärmt Röck und fügt hinzu: „Ich hätte aber nie für möglich gehalten, dass bei der Bewerbung so viel schief laufen kann.“

Dass Röck heute an einer Berliner Universität eingeschrieben ist, bezeichnet sie als „glücklichen Zufall“. Denn Röck hat eine ungültige Bewerbung eingereicht. Oder genauer: Das zuständige Institut für Musikwissenschaft hat eine unvollständige Bewerbung erhalten. Von den drei angeforderten Arbeitsproben aus ihrem Bachelorstudium, die Röck in Graz zu den Bewerbungsunterlagen packte, kamen nur zwei beim zuständigen Studienfachberater an. Röck ist sich sicher, alle benötigten Unterlagen an Uni-Assist verschickt zu haben. Das ist jener Dienstleister, der für die Humboldt-Universität Studienbewerbungen aus dem Ausland entgegennimmt, auf Vollständigkeit prüft und in elektronischer Form an die Uni weiterschickt. Für die fehlenden Unterlagen macht sie Uni-Assist verantwortlich. Zwischen Prüfung der Bewerbung und deren Weiterleitung, so Röck, müssen Arbeitsproben verloren gegangen sein. Hätte sich nicht der Studienfachberater persönlich bei ihr nach den fehlenden Unterlagen erkundigt – Röck wäre wohl nicht in ihrer Wunschstadt Berlin gelandet, sondern in Weimar oder Gießen.

„Ich hätte aber genauso wegen Uni-Assist rausfliegen können“, glaubt Röck. „Ich hatte einfach Glück, dass der Studiengang nicht überlaufen ist.“ Gerade einmal 143 Studierende sind am Institut für Musikwissenschaft eingeschrieben – die neuen Erstsemester mitgerechnet. Nur deshalb wurde ihre Bewerbung nicht abgelehnt. Was Röck aber ärgert: Dass Uni-Assist für die – aus ihrer Sicht – unzuverlässige Arbeit auch noch Geld kassiert. 75 Euro nimmt der Verein für die Vorprüfung der ersten Bewerbung. Für jede weitere kommen 15 Euro hinzu. Röck hat sich an zwei deutschen Unis beworben, die mit Uni-Assist kooperieren. „Macht 90 Euro“, sagt Röck trocken.

Mehr als 56.000 Bewerbungen in einem Semester

Die Beliebtheit der deutschen Unis im Ausland ist zu einem lukrativen Geschäft geworden. Seit Jahren steigt die Zahl ausländischer Studierender (siehe Kasten). Davon profitiert Uni-Assist, das mittlerweile für 182 deutsche Hochschulen Bewerbungen prüft. 56.200 Studieninteressierte mit ausländischem Abschluss haben für das aktuelle Wintersemester eine oder mehrere Bewerbungen an Uni-Assist geschickt. Wie viel die Berliner Geschäftsstelle über die Entgelte eingenommen hat, will sie nicht veröffentlichen. Aber eine simple Rechnung verdeutlicht, dass mit der Attraktivität deutscher Hochschulen viel zu holen ist: Bei nur einer Bewerbung pro Person hätte Uni-Assist allein für dieses Wintersemester bislang schon 4,2 Millionen Euro kassiert. Insgesamt hat die Prüfstelle in diesem Jahr nach eigenen Angaben schon 290.000 Bewerbungen bearbeitet – fast doppelt so viele wie vor zwei Jahren. Jahr für Jahr wächst die Auftragslage um 25 Prozent.

Am Service hingegen scheint sich nicht viel zu verbessern. Seit Jahren wird Uni-Assist als langsam, schlampig und bürokratisch kritisiert. Auf studentischen Internetforen wie Studis-Online tauschen BewerberInnen ihre Erfahrungen aus: „Bewerbung fälschlicherweise nicht weitergeleitet“, heißt es da oder „Anträge völlig vermasselt“; in Verbindung mit Uni-Assist fallen Wörter wie „Lügenmärchen“, „Frechheit“, „Katastrophe“, „Sauhafen“. Studierendenvertreter gehen mit ihrer Kritik noch weiter. Für sie ist der Service schlicht diskriminierend, weil er Ausländer zur Kasse bittet, Einheimische aber nur dann, wenn sie ihren Schulabschluss im Ausland gemacht haben. Vor zwei Jahren sprach der AStA der Technischen Universität Berlin von „Uni-(R)assist“ und forderte: „Uni für alle und zwar umsonst.“

Es kommt nicht so oft vor, dass ein eingetragener Verein in der Öffentlichkeit das Image einer profithungrigen Behörde gewinnt. Doch ist Uni-Assist überhaupt bewusst, welchen Frust ihr Service bei Studieninteressierten wie Alexandra Röck auslöst?

Martin Knechtges hat sich mit Zahlen gegen die Vorwürfe gewappnet. „0,8 Beschwerden auf hundert Bewerbungen“, sagt der promovierte Philosoph und lächelt. Knechtges – leicht ergraut, blaues Hemd, Schal – empfängt im zweiten Stock eines alten Fabrikgebäudes direkt neben der Berliner Stadtautobahn, Aufgang H. Hinter der Stahltür erstreckt sich eine Welt aus Akten, Callcenter und Ruheräumen. 3.000 Quadratmeter hat Uni-Assist hier angemietet. Jahr für Jahr werden hier 17,5 Tonnen Akten durch die Etage bewegt. Bis zu 250 MitarbeiterInnen können zu Stoßzeiten gleichzeitig Unterlagen prüfen, dokumentieren und Kunden beraten. Nach Knechtges Zahlen machen sie einen sehr guten Job.

Und die verlorenen Unterlagen von Alexandra Röcks Bewerbung? Werde er gerne nachprüfen, verspricht Knechtges, und fügt hinzu: „Aber unabhängig davon, ob wir bei dieser Bewerbung etwas versäumt haben oder nicht: Wir müssen besser werden, keine Frage.“ Damit meint Knechtges vor allem: Schneller, damit die BewerberInnen ihren Bescheid nicht erst Wochen nach Ende der Bewerbungsfrist bekommen und fehlende Unterlagen nicht mehr nachreichen können. Im dümmsten Fall heißt es dann: ein Semester warten. In diesem Semester blieben rund 11.000 StudienbewerberInnen ohne Zusage – jeder Fünfte. „Wer sehr spät dran ist mit seiner Bewerbung muss im ersten Versuch für Vollständigkeit der Unterlagen sorgen“, rät Knechtges.

Sechs Wochen, warnt Uni-Assist auf seiner Website, dauere die Prüfung in der Regel. Ob ihre Bewerbung erfolgreich war, erfahren die BewerberInnen „frühestens vier bis sechs Wochen“ nach Ablauf der Bewerbungsfrist. Ziemlich spät, findet Studentin Röck. „Anfang Juli hab ich die Bewerbung geschickt und dann erst Ende August wieder etwas gehört.“ Die Zusage bekam sie zwei Wochen vor Semesterstart. Ein WG-Zimmer hatte sie schon gesucht, bevor sie wusste, ob sie überhaupt in Berlin studieren wird oder nicht.

Zeit für eine intensive ­Studienberatung

Dabei sollte die Zulassung internationaler Studieninteressierter, wie die 41 Gründungshochschulen 2003 in der Satzung von Uni-Assist festhielten, mit der zentralen Prüfstelle „einfacher, effizienter, kostengünstiger und vor allem kundenfreundlicher“ werden. Tatsächlich hat Uni-Assist seine Vorzüge: Mit einer Bewerbung kann man sich theoretisch an beliebig vielen Hochschulen und Studiengängen bewerben. Die Bewerbungs-Unterlagen können die BewerberInnen auf eine Online-Plattform laden und dort selbst verwalten. Und: Bei Mehrfachbewerbungen reicht es, Übersetzungen oder Zeugniskopien nur einmal beglaubigen zu lassen. Das spart Zeit und Geld, auch wenn die BewerberInnen das wegen der Entgelte nicht wirklich als Entlastung wahrnehmen. Das erstaunlichste Argument für Uni-Assist kommt jedoch von den Hochschulen selbst. Dank der Auslagerung der Vorprüfung bekämen ausländische Studieninteressierte eine bessere Beratung.

„Dank Uni-Assist haben wir wieder mehr Ressourcen für die Betreuung zur Verfügung“, sagt Kersten Grabowski. Die zuständige Mitarbeiterin im International Office an der Humboldt-Universität muss es wissen. Seit 27 Jahren arbeitet sie in der Verwaltung, die meiste Zeit als Sachbearbeiterin für ausländische Studienbewerbungen. Und das ist aufwendig, verrät Grabowski. Man müsse die Bewerbung zunächst auf Vollständigkeit prüfen, in der Datenbank für ausländische Bildungsabschlüsse nachsehen, welche Schulabschlüsse und welche Hochschulen aus dem Ausland anerkannt seien, dann gegebenenfalls die Noten von Schul- oder Studienleistungen umrechnen, und schließlich die spezifischen Anforderungen des Bundeslandes, der Hochschule oder des Studienfaches beachten. „Das alles“, sagt Grabowski, „ist heute mit der starken Zunahme der internationalen Studierenden nicht mehr zu schaffen.“ Grabowski ist deshalb froh, dass sie sich nun stärker auf die Beratung der ausländischen Studieninteressierten konzentrieren kann. „Die E-Mails beantworten wir spätestens nach zwei Tagen“, sagt Grabowski nicht ohne Stolz. Vor der Auslagerung der Vorprüfungen an Uni-Assist wäre das nicht möglich gewesen, sagt Grabowski.

Mittlerweile vertrauen 182 der bundesweit rund 400 Hochschulen auf Uni-Assist, darunter acht der elf Elite-Unis wie die TU Dresden, die Uni Köln oder die Berliner Humboldt-Universität. Fragt man bei den Hochschulen nach, wie sich die Auslagerung der Vorprüfung auf ihre Arbeit auswirke, hört man ähnliche Antworten wie von der Humboldt-Uni: Sie könnten nun die internationalen StudienbewerberInnen besser betreuen.

Streit um die Hebräisch-Zulassung

Davon hat auch Leeor Fink profitiert. „Das International Office hat immer sehr schnell und kompetent geantwortet“, sagt der Israeli in makellosem Deutsch. Der 28-Jährige hat in Tel Aviv Politikwissenschaft und Geschichte studiert und sich diesen Sommer für insgesamt vier Masterstudiengänge in Potsdam und Berlin beworben. Für sein Aufbaustudium schwankte er zwischen den USA und Deutschland. „Wegen meiner Beziehung in Berlin ist es dann Deutschland geworden“, sagt Fink und grinst. Als sein Blick auf den Prüfungsbescheid fällt, der vor ihm auf dem Tisch liegt, verdüstert sich seine Miene jedoch schlagartig. „Das Problem bei Uni-Assist ist, dass die Uni dir etwas zusichert und du trotzdem eine Ablehnung bekommen kannst.“ Das sei ihm bei drei der vier Bewerbungen so ergangen. Und dann erzählt er von dem Hin und Her mit den Sprachnachweisen. Für den Geschichtsmaster an der Humboldt-Universität Berlin sollte er neben Deutsch und Englisch eine weitere Fremdsprache nachweisen.

Fink erkundigte sich beim entsprechenden Institut, ob auch seine Muttersprache Hebräisch anerkannt würde. Ja, versicherte ihm die Studienfachberaterin schriftlich in einer Mail. So stünde es schließlich in den Zulassungsregeln. Eine selbst verfasste Erklärung über die Sprachkenntnisse reiche als Nachweis. Fink hält sich an die Angaben der Studienberaterin, legt den Nachweis der Bewerbung bei. Dennoch leitet Uni-Assist diese später nicht weiter, mit der Begründung, dass „Hebräisch als weitere Fremdsprache in dem Anforderungskatalog für diesen Studiengang leider nicht enthalten“ sei. Fink versteht nicht, wie das sein kann. Beschwert hat er sich dennoch nicht. Er hat mittlerweile sein Studium an der Freien Universität Berlin angefangen, auch wenn er lieber an der Humboldt-Universität oder in Potsdam studiert hätte. „Die FU war meine dritte Wahl“, sagt Fink nüchtern.

Finks Unzufriedenheit – bei Uni-Assist kommt sie nicht an. Selbst wenn sich ein Mitarbeiter die Akten mit der Nummer 1788383 zur Hand nimmt und überprüft, wird er keinen Fehler erkennen können. „In der Liste der Sprachen, die in unserer Datenbank für den Master Geschichtswissenschaften der Humboldt-Universität als Drittsprache zugelassen sind, ist Hebräisch nicht verzeichnet“, sagt Knechtges, der sich Finks Fall auf Bitten der taz angesehen hat. „Da weichen unsere Informationen von denen der Humboldt-Universität ab.“ Möglich, dass die Universität diese Information nicht weitergegeben habe. Möglich, dass Uni-Assist etwas durch die Lappen gegangen sei.

Und die Unterlagen von Alexandra Röck? Da ist sich Knechtges sicher: „Die gescannten Dokumente wurden alle an die Humboldt-Universität weitergeleitet“, beteuert er. „Vielleicht wurden sie in dem sehr langen Dokument schlicht übersehen“. Also alles Schuld der Hochschule?

Anruf bei Christian Schaper, dem Studienfachberater, der im Sommer Röcks Bewerbung gesichtet hat. „Ich bin mir sicher, dass die Bewerbung nicht vollständig bei mir angekommen ist. Sonst hätte ich nicht dementsprechend gehandelt“, erklärt er. Nach seiner Erfahrung kommt es öfter mal vor, dass Unterlagen fehlen. Manchmal tauchen sie auf Nachfrage plötzlich bei der Zentralen Prüfstelle auf, wo die Bewerbungen nach der Uni-Assist-Prüfung landen. Wenn nicht, ruft Schaper direkt bei den BewerberInnen an.

Mehr ist über den Verbleib von Röcks Hausarbeiten nicht herauszufinden. Die für die Zulassung internationaler Studierender zuständige Sachgebietsleiterin lässt eine Anfrage der taz unbeantwortet. Die Hochschule teilt auf Nachfrage mit: Mit der Qualität der Dienstleistungen von Uni-Assist sei man „grundsätzlich zufrieden“. In der Vergangenheit sei es „nur in Einzelfällen“ zu Problemen gekommen. Und auch der Wissenschaftsrat, dessen Einschätzung bei den Hochschulen viel gilt, empfahl den Beitritt zu Uni-Assist. Die Prüfstelle könne eine deutschlandweite Vereinheitlichung der Bewerbungsprozesse ermöglichen.

In der Praxis sind die deutschen Hochschulen noch weit von diesem Ziel entfernt. Nicht nur, weil die rund 10.000 Studiengänge, für die man sich bei Uni-Assist bewerben kann, auch 10.000 individuelle Bewerbungen verlangen. Sondern auch, weil längst noch nicht alle Hochschulen davon überzeugt sind, die Vorprüfungskompetenz outzusourcen.

Zum Sommer steigen die Gebühren

Zu denen, die sich bewusst gegen die Zentralisierung bei Uni-Assist entschieden haben, gehört die Ludwig-Maximilians-Universität München, auch eine Elite-Uni. Als Begründung sagt der Leiter des International Office, Stefan Lauterbach, unverblümt: „Wir wollen, dass es für unsere künftigen Studierenden beim Studienstart in Deutschland optimal läuft. Da haben die Gebühren von Uni-Assist auch eine Rolle gespielt.“

So wünschen sich das auch Fink und Röck an ihrer Uni – bei aller Dankbarkeit über den kostenlosen Studienplatz. Und auch bei Uni-Assist weiß man um die Gratwanderung zwischen gutem und zu teurem Service. Ein holpriges Bewerbungsverfahren könne der Attraktivität des Hochschul­stand­orts Deutschland schaden – höhere Gebühren jedoch Interessierte abschrecken. Das selbst gesteckte Ziel, Bewerbungen nach spätestens drei Wochen bearbeitet zu haben, sei mit den aktuellen Ressourcen kaum zu leisten. „Wir erreichen eine Grenze, die sich nach einer betriebswirtschaftlichen Logik ausrichtet“, räumt Knechtges ein. Die Unis zahlen Uni-Assist schließlich kein Geld für die Dienstleistung. Wenn die öffentliche Hand für ausländische StudienbewerberInnen ein kostenfreies Prüfungsverfahren gewähren wollte – wie es etwa seit anderthalb Jahren für Geflüchtete angeboten wird –, dann muss dafür der politische Wille da sein.

Danach sieht es derzeit nicht aus. Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen haben dieses Jahr sogar Studiengebühren für Nicht-EU-AusländerInnen eingeführt. Aus diesem Grund haben die 182 Mitgliedshochschulen soeben beschlossen, die Entgelte zum kommenden Sommersemester zu erhöhen. Zweit- oder Drittbewerbungen sollen dann statt bisher 15 Euro künftig 30 Euro kosten. Mit den Mehreinnahmen aus den Mehrfachbewerbungen verspricht Uni-Assist einen besseren Service: Gerade wird eine neue Software entwickelt, die die Arbeit der PrüferInnen erleichtern soll. Und die Website soll übersichtlicher werden.