Schwerpunkt aktuell, Textbeitrag

Ein Riss geht durch den Campus

Auch Tage nach dem Tumult im Hörsaal 6 der Otto-von-Guericke Universität Magdeburg ist Gerald Wolf noch aufgebracht: „Bei diesem Erlebnis dachte ich, ich bin bei den Nazis“, sagte der emeritierte Professor der Tageszeitung „Volksstimme“ – und meinte damit die Studierenden, die sich der gastgebenden AfD-Hochschulgruppe entgegengestellt hatten.

Drastische Worte. Fakt ist: Rund 300 Personen verhinderten Mitte Januar dieses Jahres Wolfs Vortrag. Und das lag anscheinend weniger an dem Biologen, der den vermeintlichen Unterschied zwischen männlichen und weiblichen Gehirnen erklären wollte, als an der AfD-Hochschulgruppe „Campus Alternative Magdeburg“, die hier eingeladen hatte. „Gender an der Uni?!“ – das war die Überschrift der Veranstaltung, und auf dem Flyer wurde „Gendermainstreaming“ als „geselliger Zeitvertreib für Leute ohne Probleme“ bezeichnet. Der Landes- und Fraktionsvorsitzende der AfD Sachsen-Anhalt, André Poggenburg, dessen Äußerungen auf Twitter zum Thema Flüchtlinge und Terrorgefahr umstritten sind, sollte das Grußwort sprechen.

Es kommt zum Handgemenge – jemand schlägt dem Professor ein Gehirnmodell aus der Hand, ein Böller explodiert

Ein Veranstaltungsformat, das viele Kommilitonen offenbar provozierte. So lud der Studierendenrat kurzerhand zu einer Gegenveranstaltung mit der Gleichstellungsbeauftragten der Hochschule – im selben Raum, unmittelbar vor der AfD-Veranstaltung. Alle blieben wie abgemacht sitzen. Auf zahlreichen Videos im Netz kann man sehen, wie der Protest eskaliert, wie von beiden Seiten Gewalt ausgeht. Als Poggenburg zu reden beginnt, kommt es zum Handgemenge, jemand schlägt Professor Wolf ein Gehirnmodell aus der Hand, ein Böller explodiert. Zuletzt verlassen die AfD-Leute unter Beifall den Hörsaal. Später wollen verschiedene Anwesende die Antifa sowie Mitglieder der rechtsextremen Partei „Die Rechte“ gesichtet haben.

Es ist nicht die erste Blockade gegen eine AfD-Veranstaltung an einer deutschen Hochschule. Anfang 2015 verhinderten Studierende in Erfurt den Auftritt von AfD-Politiker Alexander Gauland. Veranstalter: die Campus Alternative Erfurt. Im Juni 2015 nahm die Georg-August-Universität Göttingen eine Raumzusage für eine AfD-Veranstaltung zurück. „Unrichtige“ Angaben der Hochschulgruppe der Jungen Alternative – nicht die vehementen Proteste von Studierenden – seien dafür ausschlaggebend gewesen. Im April 2016 zog der AStA der Universität Düsseldorf eine Einladung des Hochschulpolitikreferats und des Referats für Umwelt und Nachhaltigkeit an AfD-Mitbegründer Bernd Lucke zurück. Begründung: Man könne seine Sicherheit nicht garantieren. Im Juli 2016 hob der Konvent der Fachschaften der Ludwig-Maximilians-Universität München das Akkreditierungsstatut für Hochschulgruppen auf. Es war die einzige Möglichkeit, die Zulassung einer AfD-Hochschulgruppe an der Universität zu verhindern.

„Gewalt gegen Personen und Sachen ist absolut nicht tolerabel“

Was viele linke Hochschulgruppen als Zivilcourage gegen rechts feiern, stößt bei Hochschulleitern häufig auf Entsetzen. „Gewalt gegen Personen und Sachen ist absolut nicht tolerabel“, sagte der Magdeburger Universitätsrektor Jens Strackeljan im MDR. Auch wenn er überzeugt sei, dass kein Studierender den Böller geworfen habe. Die Uni müsse aber auch sehen, dass die AfD mit 24 Prozent der Wählerstimmen in Sachsen-Anhalt eine große gesellschaftliche Frage stelle. Die zu beantworten ginge nur im Dialog, auch bei völlig unterschiedlichen Positionen. Das sei die Aufgabe von Universitäten.

Und dieser wird sie künftig wohl häufiger nachkommen müssen. Denn die AfD und ihre Jugendorganisation „Junge Alternative“ (JA) gründen fleißig Hochschulgruppen. Wegen der oft geringen Wahlbeteiligung an Universitäten haben deren Mitglieder auch mit wenigen Anhängern gute Chancen, ins Studierendenparlament (StuPa) einzuziehen. In Kassel, wo vergangenen Juli erstmals ein AfD-Vertreter einen Sitz holte, reichten 113 Stimmen – von fast 23.000 Studenten. Gewählt hatte nur rund jeder Siebte. Auch an der Universität Düsseldorf sowie an der Fernuniversität Hagen sitzt je ein AfD-Mitglied im StuPa. An der Christian-Albrechts-Universität Kiel gewann eine Gruppe einen Sitz, der auch mehrere AfD-Mitglieder angehören.

Besonders aktiv ist die Campus Alternative Düsseldorf. Sie kritisierte, dass eine Turnhalle für den Hochschulsport geschlossen wurde, weil darin vorübergehend Flüchtlinge untergebracht worden waren. Sie verhüllte die Heinrich-Heine-Statue auf dem Campus mit einer Burka und hängte ein Schild mit der Aufschrift „Bildungsbombe“ auf, um auf den angeblichen Bildungsmangel bei Musliminnen hinzuweisen. Ein Video dieser Aktion stellte sie online.

AfD bezeichnet die Tumulte als „problematisches Erbe jahrzehntelanger linker Ideologisierung der Hochschulen“

David Eckert, der für die AfD als stellvertretender Sprecher im Bezirksvorstand Düsseldorf sitzt, sagt gegenüber Journalisten, dass er wegen seiner politischen Haltung auf dem Campus angefeindet werde. Seither habe er immer Pfefferspray dabei. Seit November sitzt Eckert im „Studierendenparlament “. Unterhält man sich mit AfD-Mitgliedern an anderen Hochschulen, wird klar: Sie bewundern Eckert dafür, mit so
einfachen Mitteln so viel Aufmerksamkeit zu bekommen.

Derweil macht die sachsen-anhaltische AfD-Landtagsfraktion deutlich, wie sie den Veranstaltungsboykott an der Universität Magdeburg sieht. Fraktionsvorsitzender Poggenburg bezeichnete die Tumulte in einer Stellungnahme als „problematisches Erbe jahrzehntelanger linker Ideologisierung der Hochschulen“. Sie erinnere ihn an „prügelnde und pöbelnde Studenten-SA, die 1933 jüdische und politisch andersdenkende Professoren aus den Hörsälen vertrieb“. Knapp eine Woche später stellte Poggenburg Strafanzeige – unter anderem wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung – und reichte eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den Dekan der Fakultät für Humanwissenschaften, Michael Dick, ein, der die Proteste begrüßt haben soll.

Ein Vorwurf, den Dick gegenüber fluter.de zurückweist. Er habe allein die Haltung der Studierenden gelobt, die sich gegen die Instrumentalisierung des Ortes Universität zur Wehr setzen wollten. Für ihn sei klar, dass die Veranstaltung nicht der wissenschaftlichen Erkenntnis, sondern parteipolitischen Zielen diente. So habe nicht die AfD-Hochschulgruppe, sondern die Landtagsfraktion die Dienstaufsichtsbeschwerde gegen ihn eingereicht und den Vorfall damit auf eine landespolitische Ebene gehoben. Die AfD-Fraktion beantragte zum Thema sogar eine Aktuelle Debatte im Landtag. Nach deren Meinung werde der politische Diskurs zunehmend vom Linksextremismus beherrscht, was eine sachliche Auseinandersetzung unmöglich mache. Die Redner anderer Fraktionen widersprachen dieser Sichtweise.

„Lassen wir die Veranstaltung zu, geben wir der rechtspopulistischen Provokation ein Forum. Lassen wir sie nicht zu, setzen wir uns dem Vorwurf der Unterdrückung von Meinungen beziehungsweise Minderheiten aus“

Dass es die AfD geschafft habe, einen Großteil der Studierenden medienwirksam in eine Ecke mit Linksextremisten zu stellen, wurmt den Dekan. Ihn stellt der Umgang mit der AfD vor ein Dilemma: „Lassen wir die Veranstaltung zu, geben wir der rechtspopulistischen Provokation ein Forum. Lassen wir sie nicht zu, setzen wir uns dem Vorwurf der Unterdrückung von Meinungen beziehungsweise Minderheiten aus.“ Die Frage betrifft ihn auch persönlich: Wie Rektor Strackeljan erhielt Michael Dick nach den zahlreichen Medienberichten Morddrohungen. Um die Sicherheit auf dem Campus zu gewährleisten, hat der Hochschulsenat den Entwurf neuer Regeln angekündigt. Wer künftig einen Raum haben will, muss die Hochschule über Inhalt, Format und Teilnehmerkreis informieren. Kontrollmechanismen, die einer offenen Hochschule zuwider sein müssten.

Was ist der richtige Umgang mit der AfD und AfD-nahen Hochschulgruppen auf dem Campus? Das hängt auch davon ab, was man unter Demokratie versteht. Für die Hochschulen selbst ist das oberste Ziel Gleichbehandlung und Meinungsfreiheit. Viele linke Hochschulgruppen verstehen unter Demokratie aber auch, dass Rassismus, Sexismus oder auch Hetze gegen Homosexuelle und Transgender-Leute im Keim erstickt werden müssen. Und die Linksextremen unter ihnen sagen: Notfalls auch mit Gewalt.

„Die Positionen der Campus Alternative und der AfD stehen konträr gegenüber denen der Universität und der Studierendenschaft“

„Die Positionen der Campus Alternative und der AfD stehen konträr gegenüber denen der Universität und der Studierendenschaft“, fasst ein StuPa-Sprecher nach der AfD-Blockade zusammen. Und rechtfertigt den Protest.

Dazwischen gibt es bisher wenig. Allerdings sind sich alle Gegner der AfD einig, dass man über ihr Gedankengut und ihre Provokationsstrategie aufklären muss. Der AStA der TU Berlin beispielsweise organisierte vergangenes Sommersemester eine „Aktionswoche gegen rechte Stichwortgeber*innen“. In den Vorträgen ging es darum, was neurechte Kernthemen sind und wer sie auf dem TU-Campus vertritt. Die Gegenseite war dort unerwünscht.

Der Magdeburger Dekan Michael Dick würde eine Diskussionsveranstaltung begrüßen, in der sich Studierende, Hochschul- und Medienvertreter über die inhaltliche Nähe der AfD-Hochschulgruppen zur Partei auseinandersetzen – natürlich unter Anwesenheit der Campus Alternative. An der Universität Leipzig hat es so etwas schon gegeben. Nachdem dort vergangenes Jahr ein Juraprofessor (Thomas Rauscher) wegen seiner islamfeindlichen Tweets heftig von Studierenden angefeindet worden war, verteidigte die Rektorin (Beate Schücking) zwar dessen Meinungsfreiheit. Sie initiierte aber auch eine Podiumsdiskussion mit dem Professor, auf der sie persönlich ganz klar gegen dessen Positionen Stellung bezog.

Ohnehin muss jetzt an vielen Orten mit der Campus Alternative gestritten werden. Überall dort, wo sie bereits wie etwa an der Universität Düsseldorf im StuPa sitzt. Auf der ersten Sitzung dort Ende Januar beantragte der Vertreter der Campus Alternative unter anderem eine Deutschlandfahne auf dem Campus, die Abschaffung des Genderreferats sowie die Ausweitung einer ausgeschriebenen Stelle gegen Rechtsextremismus auch auf „Linksextremismus“. Das Parlament lehnte mit den Stimmen der Mehrheit alle Anträge ab.