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Mit Kriegsflugzeugen gegen Studenten

Der Regierung in Caracas gelingt es nicht, die Gewalt zu beenden. Statt auf die Opposition zuzugehen, bemüht sie alte Feindbilder, um eigene Anhänger zu mobilisieren.

Mit dem Finger auf die USA zu zeigen, ist ein Reflex venezolanischer Regierungen. Immer wenn die Bevölkerung ihre Unzufriedenheit mit dem seit 1998 regierenden Chavismus äußert, wittert die Regierung dahinter eine Einmischung von außen. Seit drei Wochen protestieren Studenten im ganzen Land gegen die Lebensmittelknappheit, die galoppierende Inflation und hohe Kriminalität. Der Staatsapparat reagiert mit Repression. 16 Menschen sind bereits gestorben. Doch noch während die ersten toten Studenten und Sicherheitskräfte von den Straßen der Hauptstadt Caracas getragen wurden, fand man im Präsidentenpalast Miraflores den Schuldigen für die Gewalt: den mächtigen Nachbarn aus dem Norden.

Die USA schürten die Gewalt mit dem Ziel, den legitim gewählten Präsidenten, Nicolás Maduro, zu stürzen und eine Marionettenregierung einzusetzen, die ihnen wohl gesonnen sei, ist sich Präsident Nicolás Maduro sicher. Die Oppositionsführer Leopoldo López, der in Harvard studiert hat und sich seit einer Woche in Haft befindet, und Henrique Capriles, der Maduro bei der Präsidentenwahl 2012 nur knapp unterlag, seien in Wahrheit Agenten US-amerikanischer Interessen.

Es ist eine Verschwörungstheorie und doch gibt es gute Gründe dafür, dass sie nun aufkommt. Vor dem gescheiterten Putschversuch 2002 gegen Maduros Vorgänger, den charismatischen Populisten Hugo Chávez, empfing der Lateinamerika-Gesandte der Bush-Regierung Otto Reich mehrmals die Putschisten im Weißen Haus. Eine direkte Beteiligung bestreitet die US-Regierung jedoch bis heute. Reich übernahm 2003 die Leitung des als School of the Americas bekannten Trainingscamps, in dem in den 1970er und 1980er Jahren lateinamerikanische Militärs ausgebildet wurden. In Argentinien, Chile, Guatemala und Panama übernahmen sie mit Militärgewalt die Regierungsgeschäfte oder folterten für die Geheimdienste.

Slogans aus Zeiten der Diktaturen

Die Putschthese Maduros weckt also die Geister der Militärdiktaturen, die bis auf wenige Ausnahmen – darunter Venezuela – in fast ganz Lateinamerika zu Staatsterror und Guerilla-Kriegen geführt haben. Die alte Freund-Feind-Rhetorik hat zur Folge, dass die Protestierenden im ganzen Land nun ihrerseits auf das Vokabular der Friedensbewegungen der 1980er Jahre zurückgreifen. Das Nunca más (Nie wieder), der Wunsch nach einem Ende des Staatsterrors, der damals die Rückkehr zur Demokratie in Argentinien, Chile, Uruguay und Guatemala begleitete, hallt heute in Venezuela über Stadtplätze und durch die sozialen Kanäle.

Für diesen Mittwoch hat eine Frauengruppe auf Facebook zu einemProtestmarsch durch das Zentrum von Caracas aufgerufen. Sie will mit Friedenssymbolen die Gewalt anprangern, die in Caracas die meisten Todesopfer gefordert hat. „Zieht weiße T-Shirts an“, schreibt eine Initiatorin. Landesweit wird zeitgleich an 14 Orten protestiert.

Die venezolanische Version dieses Friedenswunsches – Nunca más violencia – beanspruchen Künstlergruppen, Menschenrechtler und Oppositionsparteien für sich. 25.000 Menschen wurden in Venezuela im vergangenen Jahr ermordet – so viele wie nie zuvor in 25 Jahren Chavismus. Der Verantwortung für diese desolate öffentlicher Sicherheitslage müsse sich Maduro stellen, fordert die Opposition. Der Präsident hat die Oppositionsführer nun zum „nationalen Dialog“ eingeladen, um ein Ende der Gewalt zu erreichen. Gleichzeitig zeigt die Regierung aber deutlich die Grenzen ihrer Dialogbereitschaft. Einer Abgeordneten der Opposition, María Corina Machado, wurden am Dienstag im Parlament die Mikros abgestellt, als sie der Polizei Folter an Studenten vorwarf. Oppositionsführer Capriles hat deshalb die Dialogofferte abgelehnt und Papst Franziskus um Vermittlung gebeten.

Die zensierte Abgeordnete Machado gibt sich kämpferisch. „Wenn die denken, mich durch das Abdrehen des Mikros oder die Verletzung meiner Immunität zum Schweigen bringen zu können, irren sie. Ich werde nur umso mehr für den Schutz der Venezolaner eintreten“, schrieb Machado einen Tag später auf Twitter. Über 700 Protestler, überwiegend Studenten, seien mittlerweile verhaftet worden, schätzt Machado.

Mittlerweile kritisieren auch Mitglieder des Regierungslagers die Gewaltbereitschaft der Sicherheitskräfte. José Vielma Mora, Gouverneur der Provinz Táchira und langjähriger Weggefährte von Chávez, spricht von einem Gewaltexzess bei einer Polizeiaktion in seiner Provinz. Indirekt forderte er auch die Freilassung des Oppositionspolitikers López. „Zum Frieden gehört auch, dass nicht alle Gefangenen aus politischen Gründen einsitzen“, sagte Vielma im Lokalfernsehen. Dass das Militär Kriegsflugzeuge und Panzer im eigenen Land zur Abschreckung einsetzt, nannte er unnötig.

Verliert der Präsident die Kontrolle?

Dass Maduro jetzt bei so legitimen Forderungen der Bevölkerung mit dem Finger auf die USA zeigt, macht vor allem eines deutlich: Er ist nicht unangefochten. Die Angst vor einem Militärputsch aus den eigenen Reihen – ob mit oder ohne Unterstützung der USA – ist offenbar größer als die Bereitschaft, sich auf Kompromisse mit der Opposition einzulassen.

Es ist fraglich, ob es dem Präsidenten gelingt, die Eskalation auf diesem Weg zu stoppen. Als in Caracas Geheimdienstler auf Demonstranten schossen, erklärte Maduro, er habe das nicht befohlen. Er entließ den Geheimdienstchef. Dem Präsidenten scheint die Kontrolle über seinen Gewaltapparat zunehmend zu entgleiten. Was nach einem Zugeständnis an die Protestierenden aussieht, dürfte deshalb zuerst einmal dazu dienen, die eigenen Reihen zu schließen.

Vielleicht hört er ja auf die Worte des Papstes. Franziskus hat am Mittwoch die Venezolaner auf dem Petersplatz zum gegenseitigen Verzeihen aufgerufen. Das hieße, sich von alten Feindbildern verabschieden zu müssen.