Schwerpunkt aktuell, Textbeitrag

Schweizer Unis, schaut auf Niedersachsen!

Die Hochschulen im deutschen Bundesland legen offen, woher ihr Sponsoringgeld stammt. Ganz freiwillig.

Die grüne Politikerin aus Niedersachsen wusste gleich: Das ist kein Einzelfall. Als 2011 herauskam, dass sich die Deutsche Bank ein erhebliches Mitspracherecht an zwei Berliner Universitäten erkauft hatte, wollte Gabriele Heinen-Kljajić wissen: Wie viele Professuren bezahlen Firmen und Private in ihrem Bundesland – und welche Gegenleistung lassen sich die Stifter vertraglich zusichern?

Diese Transparenzfragen stellen sich seit einigen Jahren auch in der Schweiz. Hier sind es vor allem Journalisten, die Druck machen: Die ZEITund die WoZ erstritten sich 2013 die Offenlegung eines Vertrags zwischen der Uni Zürich und der UBS, der die Details einer 100-Millionen-Franken-Spende regelt. Gut 1400 Personen aus Wissenschaft und Bildung unterschrieben gleichzeitig den sogenannten Zürcher Appell, der sich für eine umfassende Freiheit der Universitäten einsetzte. Und vor einigen Wochen zeigten Recherchen von Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) erstmals umfassend, wofür Konzerne an Schweizer Hochschulen ihre Millionen ausgeben.

 Auch die Politik ist inzwischen erwacht. SP-Ständerätin und ZEIT-Kolumnistin Anita Fetz forderte nach den jüngsten SRF-Enthüllungen, dass alle Unis und Fachhochschulen bis nach den Sommerferien Sponsoring-Richtlinien eingeführt haben müssen: „Sonst erlassen wir im Ständerat eine gesetzliche Regelung.“

Im deutschen Niedersachsen setzte Heinen-Kljajić von Anfang an auf die Macht der Politik: Mit einer parlamentarischen Anfrage zwang sie die Landesregierung, die Verträge der staatlichen Hochschulen abzufragen. Und siehe da: Einiges darin war faul. An mehreren Unis durften die Geldgeber bei der Besetzung der Professur mitstimmen – ein klarer Verstoß gegen das deutsche Grundgesetz, das die Unabhängigkeit von Forschung und Lehre garantiert. Für die grüne Abgeordnete war klar: Eine bloße Selbstverpflichtung der Kooperationspartner reicht nicht aus.Doch Niedersachsen zwang die Unis nicht per Gesetz zu mehr Transparenz, sondern setzte auf deren Vernunft. Auf Freiwilligkeit.

Heute ist Heinen-Kljajić Landesministerin für Wissenschaft und Kultur. Sie hat die Rektoren der 20 staatlichen Hochschulen dazu gebracht, nicht nur alle gesponserten Lehrstühle, sondern sämtliche laufenden Drittmittelkooperationen online zu stellen. Das sind über 7.500 Projekte. Seit Anfang April können Interessierte nachlesen, wer an niedersächsischen Hochschulen in wessen Auftrag zu welchem Thema forscht – und wie viel er dafür zahlt. Öffentliche Geldgeber wie die Deutsche Forschungsgemeinschaft, Bundesministerien oder die EU sind genauso darunter wie private Stiftungen oder Firmen. Ein lokales Steuerforum fördert Nachwuchswissenschaftler an der Uni Osnabrück mit 15.000 Euro für ein Jahr. Der Autobauer BMW lässt an der TU Braunschweig die Rentabilität eines E-Shuttles erforschen: 787.411 Euro für zwei Jahre. Der Pharmakonzern Novartis beauftragt Wissenschaftler der Medizinischen Hochschule Hannover mit einer Studie zum Einfluss bronchialerweiternder Therapie auf die Herzfunktion. 500.000 Euro für drei Jahre.

Die Wissenschaftsministerin ist sich sicher: Mit der freiwilligen Regelung erreicht Niedersachsen mehr als mit einem Gesetz. „Wir sind das erste Bundesland, das vollumfänglich alle Daten veröffentlicht und an allen Universitäten Ethikkommissionen eingerichtet hat“, sagt Heinen-Kljajić.

Die Hochschulen publizieren zwar alle ihre Kooperationen mit Dritten. Die Namen der Firmen und des Forschungsauftrags können sie jedoch verschlüsseln, sofern sie das ihren Industriepartnern versprochen haben. Dadurch bleiben die Schutzinteressen der Unternehmen gewahrt.

Manche Hochschulen haben von diesem Recht exzessiven Gebrauch gemacht. Die Leibniz Universität Hannover etwa verschweigt fast alle Auftraggeber aus der Wirtschaft. Bei mehreren Hundert Kooperationen nennt sie statt des Firmennamens einen Code, der lediglich auf den Wirtschaftszweig schließen lässt. Das sei halt mal so, erklärt die Hochschule: Bei Forschungsaufträgen aus der Industrie werde normalerweise Vertraulichkeit über den Auftraggeber vereinbart.

Kritiker fürchten deshalb, dass bald alle Hochschulen ihren Wirtschaftspartnern einen Vertraulichkeitspassus anbieten werden. Verhindern sollten das eigentlich die neu eingeführten Ethikkommissionen. Sie sollen abwägen, in welchem Ausmaß die Drittmitteldaten anonymisiert werden dürfen. Gegenüber der ZEIT sagt die Ministerin Heinen-Kljajić, dass sie diese Verschleierungspraxis nicht hinnehmen will: „Eine Verschlüsselung darf nicht dazu führen, dass die Daten völlig ohne Aussagekraft bleiben.“

Hätte Niedersachsen vielleicht doch besser auf ein hartes Gesetz anstatt auf Freiwilligkeit gesetzt? Ehre nicht. Denn selbst die beiden deutschen Bundesländer Rheinland-Pfalz und Bremen, die ihre Unis per Gesetz zu mehr Transparenz zwingen wollen, hadern mit bockstarrigen Unis und ihren Sponsoren. In den entsprechenden Gesetzestexten schwächen deshalb Abwägungsklauseln die Pflicht zur Offenlegung ab. Für jede Drittmittelkooperation muss im Einzelfall geklärt werden, was höher wiegt: das im Grundgesetz verbriefte Schutzinteresse des Unternehmens, das von der Nennung des Projekttitels Wettbewerbsnachteile erleiden könnte. Oder die Auskunftspflicht der staatlichen Einrichtung gegenüber den Steuerzahlern. Oder anders formuliert: Kein Transparenzgesetz garantiert vollständige Transparenz.

Die Uni Mainz weigerte sich zum Beispiel im vergangenen Jahr vehement, den Schenkungsvertrag der Boehringer Ingelheim Stiftung offenzulegen, die dem gleichnamigen Pharmakonzern nahesteht. Sie zahlte 150 Millionen Euro ans Institut für Molekulare Biologie. Das Institut forscht dort an Themen, mit denen der formell von der Stiftung getrennte Konzern sein Geld verdient. Eine Studentin wollte deshalb wissen, ob die Firma mit ihrem Mäzenatentum gleichzeitig ein Geschäft mache. Die Hochschule blockte – und bestreitet bis heute, dass das Interesse der Öffentlichkeit am Vertragsinhalt über dem Schutzinteresse des Unternehmens steht. Letztlich werden die Gerichte entscheiden müssen.

Und in der Schweiz? Hier scheint immerhin eine Hochschule kapiert zu haben: Wenn wir jetzt nicht spuren, nimmt uns der Staat an die Leine. So will die Uni Zürich bis 2017 sämtliche Drittmittelprojekte und alle Interessenbindungen ihrer Professoren in einer Datenbank öffentlich machen. Ganz freiwillig.