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Versteckt die Waffen, hoch die Tassen

Nach 53 Jahren Krieg sollte die Farc bis Mittwoch ihre Waffen abgeben. Doch die weigert sich, solange die Regierung ihre Versprechen nicht hält.

MESETAS taz | Exakt 53 Jahre und einen Tag, nachdem der Guerillaführer Manuel Marulanda Vélez mit rund 50 Mitstreitern die Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (Farc) gründete, steht dessen Sohn verkatert mit Gummistiefeln im Schlamm und spricht vom endgültigen Frieden.

„Von diesem Tag hat mein Vater immer geträumt“, sagt Luis Enrique Marulanda Mora. Er steht zwischen zwei Verschlägen aus Holzlatten und grünen Plastikplanen in einem Entwaffnungslager der Farc. Hinter dem 37-Jährigen steigen die grünen Hänge an. Zwischen den Bananenstauden liegen leere Bierdosen, sie wurden geleert auf der Feier am Vortag. Das Besondere an dem Fest: Zum diesjährigen Geburtstag haben die Rebellen vielerorts zum ersten Mal Zivilisten eingeladen. In Marulandas Lager sind rund 1.000 Besucher gekommen, die meisten Bauern und Farc-Sympathisanten aus den umliegenden Dörfern Mesetas oder Granada. Wie viele der Gäste hat auch Enrique Marulanda in dieser Nacht nicht geschlafen, hat zu Cumbia und Vallenato getanzt und mit seinen Kameraden flaschenweise Aguardiente, kräftigen Anisschnaps, getrunken. Diesen hat der Lagerkommandant zur Feier des Tages springen lassen. Es war wohl die letzte Geburtstagsfeier der Rebellen unter Waffen.

„Unsere Rolle als bewaffnete Guerilleros haben wir erfüllt“, sagt Marulanda. Über sein ausgeblichenes ­Havanna-Club-Shirt hat er die rote Farc-Binde mit dem kommunistischen Hammer-und-Sichel-Symbol gestreift. Darunter steht das Wort „Paz“ – Frieden. „Jetzt beginnt für uns eine neue Zeit“, sagt Marulanda. Er selbst ist Anführer des Comando 21. 29 Jahre hat er im Dschungel Kolumbiens gelebt, hat dort lesen und schreiben, schießen und töten gelernt. Seit Januar ist Marulanda zusammen mit 517 anderen Farc-KämpferInnen in der Zona Veredal „Mariana Páez“ – einem Entwaffnungslager in der Provinz Meta, einem am stärksten vom bewaffneten Konflikt betroffenen Gebiete.

Gestern

255.000 Fälle von Mord, Vertreibung, Folter oder Bedrohung verzeichnete das staatliche Opferregister dort bis April 2017. In Meta hatte die oberste Führungsschicht der Farc rund 25 Jahre lang ihren Sitz. Casa Verde – Grünes Haus – wurde das Lager genannt, das nach den Beschreibungen der Guerilleros einer Festung mit 800 KämpferInnen glich. Die kolumbianischen Regierungen setzten, je nach ihrer politischen Ausrichtung, mal auf eine politische, mal auf die militärische Lösung. Den Konflikt ums Land – die Bauern wollten den Boden besitzen, von dem sie vertrieben worden sind – der Marulandas Vater damals zur Waffe greifen ließ, konnte die Regierung aber nie lösen.

Heute scheint der Frieden so nah wie nie. Die rund 7.000 Farc-KämpferInnen sind auf 26 Entwaffnungslager verteilt, bis Mittwoch, 31. Mai – sechs Monate nach Unterzeichnung des Friedensvertrags –, sollten sie dort ihre Waffen abgeben. Im Gegenzug hat ihnen die Regierung von Präsident Juan Manuel Santos Amnestie, politische Beteiligung – und eine umfangreiche Landreform versprochen. So steht es im Abkommen, das beide Seiten im November unterschrieben haben. Doch die Regierung hat bisher noch nicht einmal ein Viertel der vereinbarten Punkte umgesetzt, kritisieren Beobachter. So auch Eduardo Álvarez von der Stiftung Ideen für den Frieden: „Wichtige Gesetze wie die Landreform oder die politische Reform sind noch nicht verabschiedet“, sagt der Politologe. Zudem habe sich die Stimmung im Land verändert: „Jetzt, wo die Gewalt spürbar nachgelassen hat, hat die Umsetzung des Friedensvertrags für viele Kolumbianer keine Priorität mehr.“

Heute

Dass sich der Friedensprozess verzögert, ist auch Präsident Santos bewusst. Diesen Montag verlängerte er – in Rücksprache mit den Vereinten Nationen und der Farc – die Frist für die Entwaffnung um 20 Tage. Auch die Schutzzonen sollen zwei Monate länger als vorgesehen bestehen. „Die zusätzliche Zeit ermöglicht es uns, die Reintegration der entwaffneten Farc-Mitglieder auf den Weg zu bringen“, gab sich Santos in einer Fernsehansprache optimistisch. „Das ändert aber nichts an unserer Entschlossenheit und Verbindlichkeit, den Vertrag zu erfüllen.“ Erst am Freitag hatte der Präsident angekündigt, 3 Millionen Hektar Land an 800.000 Bauernfamilien übergeben zu wollen.

Nicht alle KolumbianerInnen teilen den Optimismus des Präsidenten. Die ihm vom Kongress übertragenen Sondervollmachten zur Umsetzung des Abkommens endeten am Montag. Und vor drei Wochen hatte das oberste Gericht dem Friedensplan einen enormen Rückschlag beschert: Die Richter kassierten zwei Artikel des Gesetzes, das die schnelle Umsetzung des Friedensvertrags garantieren sollte. So durfte das Parlament über ein entsprechendes Gesetz bisher nur als Paket abstimmen – und Änderungen waren nur mit Zustimmung der Regierung möglich. Beide Klauseln hat das Gericht nun aufgehoben. Die rechte Opposition um Santos’Vorgänger als Präsident, Álvaro Uribe, wittert nun ihre Chance, den Friedensvertrag „in Stücke zu zerreißen“, wie Exminister Fernando Londoño ankündigte.

Drohungen, die im Lager „Mariana Páez“ Unbehagen auslösen. Den letzten gescheiterten Friedensprozess aus dem Jahr 1984 haben die Farc-Rebellen nicht vergessen. 3.000 Mitglieder der dabei entstanden Farc-Partei Unión Patriótica wurden von Paramilitärs ermordet – und auch die Partei überlebte nicht. „Wie will die Regierung unsere Sicherheit garantieren, wenn sie noch nicht einmal, wie versprochen, Häuser oder Toiletten baut?“, fragt die Farc-Rebellin Johanna Ruiz und deutet vom zentralen Versammlungszelt aus auf die kargen Plastik­hütten, die sich wie ein grün-schwarzer Gürtel um den erdigen Fußballplatz legen. „Alles hier“, sagt sie, „haben wir selbst gebaut. Sogar die ungeteerte Straße müssen wir nach jedem Regenguss selbst ausbessern.“ Am Schlimmsten aber sei, sagt die 33-Jährige, dass es im Lager auch nach Monaten noch keine medizinische Versorgung gebe.

Ruiz trägt ein weißes T-Shirt mit der Aufschrift „Queremos la Paz“ – Wir wollen Frieden. Doch der ist brüchig, glaubt sie, und kramt zum Beweis ihr Smartphone hervor. 42 Aktivisten verschiedener sozialer Bewegung sind nach Angaben der UNO dieses Jahr ermordet worden, klagt Ruiz. „Die Leute in diesen Regionen werfen uns vor, dass wir sie im Stich lassen.“ 18 Jahre lang hat sie mit dem AK-47 an ihren Füßen geschlafen. Meistens in Höhen über 3.000 Meter, wo Ruiz’Einheit Meldungen für den Farc-Radiosender gefunkt hat. Heute nimmt sie an Begegnungstreffen an Universitäten oder bei Stiftungen teil. Um dafür das Lager verlassen zu dürfen, musste sie jedoch ihre Waffe abgegeben. „Das ist mir sehr schwer gefallen“, sagt Ruiz. „Ich liebe meine Waffe.“ Nun liegt sie im Waffendepot der Vereinten Nationen, in zwei weißen Containern direkt am Lagereingang.

Auch wenn im Lager einem nur wenige Rebellen mit einer sichtbar getragenen Waffe begegnen: Nur etwa 15 von über 500 KämpferInnen im Lager wurden entwaffnet, räumt Aldinever Morantes ein. Den Lagerkommandanten ärgert die Frage, warum die Farc erst 1.000 der rund 7.000 Waffen abgegeben hat. „Daran sind nicht wir schuld. Wenn Präsident Santos seinen Teil des Vertrags erfüllt, dann erfüllen wir unseren.“ Dass entgegen dem Zeitplan bisher erst ein Bruchteil der rund 3.000 inhaftierten Farc-KameradInnen entlassen worden sind, sei „keine gute Botschaft“, sagt Morantes. Dem jüngsten Gerichtsurteil misst er allerdings wenig Bedeutung bei. „Fünf Richter haben dieses Urteil gefällt“, sagt Morantes. „Ich bin überzeugt, dass das Volk den Frieden will. Das wollen wir als politische Kraft unterstützen.“ Im August gründet die Farc eine neue politische Partei. Zwischen 2018 und 2026 stehen ihnen zehn Parlamentssitze sicher zu.

Ob sich die Farc als politische Kraft etablieren kann, ist aber fraglich. Nach einer aktuellen Umfrage der Wochenzeitschrift Semana würden derzeit nur 8,7 Prozent der KolumbianerInnen einen Präsidentschaftskandidaten der Farc wählen. Und nur 2,5 Prozent der Befragten glauben, dass die Umsetzung des Friedensvertrags die dringlichste Aufgabe des nächsten Präsidenten ist, der in einem Jahr gewählt wird. Kommandant Morantes erklärt dies mit angeblichen Fehlinformationen: „Wir werden in den Medien als Terroristen und Drogenhändler dargestellt. Die meisten von uns sind aber einfache Bauer, die aus Angst vor Gewalt und Vertreibung in den Untergrund gegangen sind.“

Morgen

Einer, der für die Versöhnung aus der Provinzhauptstadt Villa­vicencio angereist ist, ist Dario Garzón. Der angehende Tierarzt stammt aus einer konservativen Familie, sein Vater wurde 1998 von der Farc entführt, als er Bürgermeister von San Juan de Arama war, einer Kleinstadt mitten im Farc-Gebiet. „Für das Lösegeld musste er seinen Hof verkaufen“, erzählt Garzón. „Meine Familie hat der Farc bis heute nicht verziehen.“ Garzón ist sich sicher: Nur die Unbeteiligten können der Farc bei der Reintegration helfen.

So sehen das auch viele der Studenten, die zum Teil aus Bogotá angereist sind und mit Zelten und Hippie-Klamotten für Festivalstimmung im Guerilla-Camp sorgen. „Ich würde die Farc nicht wählen, aber wir müssen den Friedensprozess mit allen Kräften unterstützen“, sagt ein Soziologiestudent der Universidad de los Andes. Beim letzten Besuch gab er mit KommilitonInnen einen Multimedia-Workshop.

Die Farc-KämpferInnen sind sich hingegen sicher, dass das Volk auf ihrer Seite ist. 40 Prozent, glaubt eine Rebellin, würden kommendes Jahr die neue Partei wählen. In der Partei sehen auch viele ihre persönliche Zukunft. Nur der Sohn des Guerillaführers Manuel Marulanda Vélez sagt offen: „Ich strebe kein politisches Amt an. Ich werde aber weiter für die Farc kämpfen. Dort, wo sie mich braucht.“