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Die entzauberte Freiheitsheldin

Aung San Suu Kyi ist das Symbol für Myanmars Öffnung, doch die Menschenrechtlerin hat an Anziehungskraft verloren. Und das Militär weiß, wie es die Macht sichert.

Wohin die Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi aus Myanmar auch kommt, sie wird mit Lob und Ehrungen überschüttet. An diesem Freitag nahm sie in Berlin den Willy-Brandt-Preis entgegen. SPD-Chef Sigmar Gabriel bezeichnete Aung San Suu Kyi als „Vorbild und große Inspiration“ für alle, die weltweit für Demokratie und Menschenrechte eintreten. „Die Rückkehr zur Demokratie in Ihrem Land ist untrennbar mit Ihrem Namen verbunden“, bescheinigte er ihr.

Aung San Suu Kyi ist das Prisma, durch das der Westen auf die demokratische Öffnung in Birma (offiziell Myanmar) blickt. Seit die Militärjunta 2011 nach mehr als 50 Jahren die Macht offiziell in die Hände einer zivilen Regierung gab, politische Gefangene wie Aung San Suu Kyi freiließ und weitere Reformen versprach, verhält sich der Westen wohlwollend gegenüber Myanmar. Die USA und die EU setzten die Sanktionen aus und schickten wieder Diplomaten und Wirtschaftsdelegationen nach Naypyidaw. Im kommenden Jahr sollen die Präsidentschaftswahlen diese Vorschusslorbeeren legitimieren. „Die Wahlen 2015 werden zeigen, ob Birma weiter den demokratischen Weg gehen wird“, sagte Aung San Suu Kyi in ihrer Dankesrede.

Es gab gute Gründe für die internationale Euphorie. Bei einer Nachwahl für das Parlament gewann Aung San Suu Kyis Partei NLD vor zwei Jahren 43 von 45 noch zu vergebenden Sitzen. Aung San Suu Kyi zog ins Parlament ein. Damit hatte Präsident Thein Sein, selbst Mitglied der vormals herrschenden Militärjunta, der Welt demonstriert: Demokratie und Myanmar, das ist kein Widerspruch. Und er lieferte dem Westen den Anlass, um die jahrzehntelange Isolation zu beenden.

Nebenbei hat die Aussöhnung mit Aung San Suu Kyi auch innenpolitische Vorteile für Sein. Denn die Oppositionspolitikerin, die 16 Jahre lang unter Hausarrest gestanden hatte, verlor dadurch auch an Glaubwürdigkeit unter ihren Anhängern. Sie selbst hat noch weiter dazu beigetragen: Statt die neu entflammte Gewalt an der muslimischen Minderheit im Land anzuprangern, nahm sie als Parlamentsabgeordnete an Militärparaden teil und betonte mehrfach die Bedeutung der Streitkräfte.

Das Militär lässt die Macht nicht los

Der militärnahen Regierung nutzt der Burgfrieden mit der Ikone der Demokratiebewegung mehr als er ihr schadet. Ihre Machtstellung ist dadurch nicht gefährdet, schließlich darf die „Lady“ nach derzeitigem Stand nicht zur Präsidentschaftswahl antreten. Die Verfassung des Landes schließt eine Kandidatur Aung San Suu Kyis aus, weil sie mit einem Briten verheiratet war und ihre Söhne im Ausland leben. Das parlamentarische Gremium, das Vorschläge für eine Verfassungsänderung ausarbeiten soll, wird vom Militär kontrolliert. Eine Einigung vor den Wahlen im kommenden Jahr erscheint unwahrscheinlich.

Auch deshalb, weil das Gremium einen weiteren heiklen Punkt verhandeln soll: die künftige Rolle des Militärs. Vor der Machtübergabe an die zivile Regierung schrieben sich die herrschenden Generäle weitreichende Privilegien in die Verfassung. So darf das Militär ein Viertel der 664 Parlamentssitze auch ohne Wahl besetzen, behält Schlüsselministerien wie das Innen- oder Verteidigungsministerium und kann jederzeit ein Notstandsrecht verkünden. Seine politische Macht ist gesichert, und es ist fraglich, ob es davon jemals abrücken würde. Während Aung San Suu Kyi in Berlin die Bundesregierung traf und Preise entgegennahm, brachte das Parlament weiter Hürden für ihre Partei auf den Weg.

Die Haltung der Regierung hängt insbesondere auch mit der jahrzehntelangen Verflechtung des Militärs mit der Wirtschaft zusammen. Die Herrscher-Cliquen kontrollieren den Bankensektor, den Devisen- und Rohstoffhandel. Ein Gesetz von 2012 schreibt ausländischen Investoren vor, mit einer einheimischen Firma ein Joint-Venture-Unternehmen zu gründen. Die Militärs kassieren bei jeder Investition aus dem Ausland mit. Und die spült inzwischen noch mehr Geld in die Taschen der Machthaber: 2013 belief sich der bilaterale Warenverkehr zwischen der EU und Birma auf 570 Millionen Euro, ein Anstieg um 40 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

Auch für den Westen ist die Aufhebung der Sanktionen, die dem „birmanischen Frühling“ folgten, lukrativ. Die EU kann endlich lange verbotene Produkte wie Edelsteine und seltene Hölzer importieren. Ende März reiste Handelskommissar Karel De Gucht persönlich nach Myanmar, um ein Investitionsschutzabkommen für europäische Firmen auszuhandeln. Das Land verfügt über die größten Erdgasreserven in Südostasien. China und Indien buhlen mit Milliardeninvestitionen um die Gunst der neuen Regierung.

Die USA hingegen verfolgen vor allem geopolitische Interessen in Myanmar. Die erste Auslandsreise des wiedergewählten US-Präsidenten Barack Obama Ende 2012 führte ihn nicht zufällig in das Land, das zwischen Indien und China liegt. Die Wiederaufnahme bilateraler Beziehungen ist Teil der Strategie, Chinas Hegemonie in der Region einzudämmen. Die vorsichtige Öffnung des Regimesreichte dem Westen, um seine Interessen in Myanmar wahrzunehmen.

„Wir brauchen Zeit“

Wie wird sich der Westen verhalten, wenn die Hoffnungsträgerin Aung San Suu Kyi nicht zur Wahl antreten darf? Wenn die Warnungen ausländischer Beobachter vor ethnischen Säuberungen und religiösen Hetzjagden in manchen Regionen nicht aufhören?

Der Bundestag bezeichnete 2013 in einer Überprüfung des Sanktionsregimes gegen Myanmar die kommende Wahl als Lackmustest. Erneute Sanktionen sind jedoch nicht vorgesehen. Im Februar reiste Bundespräsident Gauck in das Land. Er mahnte die Schutzverantwortung der Regierung für die gesamte Bevölkerung an, die jedoch weiterhin die Massaker an den muslimischen Rohingya bestreitet und das Militär blutig gegen Minderheiten in der Grenzregion zu China vorgehen lässt. Demokratische Reformen sind nicht die einzige Herausforderung in ihrem Land, darüber ist sich Aung San Suu Kyi im Klaren: „Ohne Aussöhnung zwischen den ethnischen und religiösen Gruppen kann es keinen Frieden geben“, sagte sie in Berlin.

Bislang hat sie sich nicht übermäßig für die verfolgten Minderheiten eingesetzt, in Zukunft wird sie sich daran messen lassen müssen, wie sie sich zu den ethnisch-konfessionellen Konflikten verhält. Hunderte Tote und hunderttausende Binnenvertriebene sind die erschreckende Bilanz der Gewalt im Land. Die Aung San Suu Kyi, die in Berlin als mutige Menschenrechtsaktivistin ausgezeichnet wurde, ist heute vor allem eine Politikerin, die mit ihrer Partei eine Wahl gewinnen will. Die nationalistischen Ressentiments in der Bevölkerung kritisiert sie nicht so deutlich, wie einige ihrer Anhänger sich dies wünschen. „Wir haben mehr als 50 Jahre Militärdiktatur hinter uns“, sagte sie in Berlin. „Wir brauchen Zeit.“