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Abkehr von Russland hat ihren Preis

Europa will sich mit Gasimporten aus dem Kaukasus von Russland unabhängiger machen. Doch das heißt auch: Die EU muss sich stärker um die Konflikte der Region bemühen.

Am Tag des Referendums auf der Krim veranstaltete die selbst erklärte „Republik Bergkarabach“ ein Solidaritätskonzert für die Bewohner der Halbinsel. Die Region im Südkaukasus, die völkerrechtlich zu Aserbaidschan gehört, aber mehrheitlich von Armeniern bewohnt ist, fühlt mit den ethnischen Russen auf der Krim: Die Karabach-Armenier sehen sich als diskriminierte Minderheit im falschen Land. Sie feierten das Krim-Referendum als legitimen Akt der Selbstbestimmung.

Auch Aserbaidschan bemüht den Vergleich mit der Krim – wenn auch aus entgegengesetzter Perspektive. „Die territoriale Integrität Aserbaidschans ist ebenso gültig wie die der Ukraine„, beklagte ein Mitglied der aserbaidschanischen Delegation im Europarat drei Tage nach der Abstimmung auf der Krim. In einemoffenen Brief forderte Aserbaidschan die EU auf, gegen Armenien gleichsam vorzugehen wie gegen Russland. „Seit nunmehr 24 Jahren wird beinahe ein Fünftel des aserbaidschanischen Staatsgebiets von armenischen Soldaten besetzt gehalten. Wo sind die Sanktionen gegen Armenien?“

Aus dem Brief spricht die Enttäuschung eines Landes, das sich seit Jahren mehr Unterstützung von der EU im Sezessionskonflikt erhofft. Doch die EU zeigte bislang wenig Interesse, sich für das Anliegen aus Baku einzusetzen. Im Gegenteil: Es überließ Russland die Verhandlungsführung der Minsker OSZE-Gruppe, die seit 22 Jahren vergeblich zwischen den Konfliktparteien vermitteln will. Ausgerechnet Russland, das sowohl an Armenien als auch an Aserbaidschan Waffen lieferte, als 1992 ein blutiger Krieg um Bergkarabach ausbrach.

„Die EU muss sicherheitspolitische Aspekte wie den Bergkarabach-Konflikt in ihre Kaukasus-Politik aufnehmen“, fordert Stefan Meister, Sicherheitsexperte für die Östliche Partnerschaft der EU am European Council on Foreign Relations. Gerade dann, wenn die EU sich bei Energieimporten unabhängiger von Russland machen wolle. Die Pläne hierfür liegen schon lange in Brüsseler Schreibtischschubladen. Durch den „Südlichen Korridor“ soll eines Tages Erdgas aus Aserbaidschan, Turkmenistan, vielleicht sogar Iran und Irak bis nach Europafließen. Und damit die Abhängigkeit von Russland schmälern, die rund ein Drittel der Erdgaslieferungen in die EU ausmacht. Allein, bislang fehlte die politische Einigkeit – oder der wirtschaftliche Anreiz für die Industrie, Geld in neue Pipelines zu stecken.

Neue Pipeline ist geostrategischer Türöffner für kaukasisches Erdgas

Vor gut drei Monaten wurde diese energiepolitische Vision aber zumindest ein Stück konkreter. Das für die Gasförderung am Schwarzen Meer zuständige Konsortium „Shah Deniz“ unter Führung des Energieriesen BP gab grünes Licht für die neue Trans-Adria-Pipeline (TAP). Zehn Milliarden Kubikmeter Erdgas sollen ab 2019 über die Türkei, Griechenland und Albanien direkt nach Italienbefördert werden. Das entspricht zwar gerade mal einem Zehntel der jährlichen Gaslieferungen aus Russland. Aber EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso bezeichnete den Beschluss als „geostrategischen Türöffner für eine stärkere europäische Energiesicherheit“.

„Die TAP-Linie ist ein dünner Halm im Vergleich zum geplanten Südlichen Korridor“, relativiert EU-Experte Meister die Euphorie. Obwohl Meister den Ausbau des Pipeline-Netzes in den Kaukasus begrüßt, kommt er zu dem Schluss: „Der EU fehlen der Mut und die Geschlossenheit, mehr Geld in dieses Projekt zu investieren.“

Politiker und Energieexperten sind sich einig, dass man kurzfristig nicht autark von russischem Erdgas werden kann. Auch weil die EU-Mitgliedstaaten durchaus unterschiedliche Energieinteressen verfolgen. Italien etwa lässt sich direkt aus Russland Erdöl liefern und wollte sich nicht an den Kaukasus-Pipelines beteiligen. Aber die Krim-Krise hat die Debatte in der EU neu entfacht, alternative Energielieferanten zu Russland zu finden. Nur zu gut erinnert man sich an die Hilflosigkeit in Europa, als Russland 2009 der Ukraine den Gashahn zudrehte. Auch wenn Norwegen oder Kanada sich soeben bereit erklärt haben, mehr Erdgas zu liefern, die Gasspeicher sind in den wenigsten Ländern groß genug, um auch nur einen Monat ohne russische Lieferungen auszukommen.

Deshalb fällt der Blick seit der Krim-Krise verstärkt auf Aserbaidschan, das die TAP-Leitung nach Europa füllen wird. „Aserbaidschan erhofft sich aus zweierlei Gründen einen Bedeutungszuwachs“, sagt Kaukasus-Experte Uwe Halbach von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Zum einen wegen der energetischen Partnerschaft, die die EU künftig noch ausbauen will. Zum anderen, weil ein Großteil der Rückzugslogistik aus Afghanistan über das Land abgewickelt wird. Aserbaidschan könnte sogar noch wichtiger werden, wenn Russland dem Westen nun in Folge der angedrohten Sanktionen den Militärgütertransport über russischen Boden verweigert.

100 Enthaltungen bei UN-Resolution

Deshalb versucht Aserbaidschan, die Krim-Krise für seine eigenen Forderungen an die EU zu nutzen. Und die lauten seit Jahren: Sanktionen gegen Armenien. Denn Aserbaidschan hat – wie die Ukraine im Fall der Krim – wohl wenig Aussicht darauf, dass die Schutznation Armenien der Rückgabe des ehemaligen Staatsgebietes zustimmen wird. 1991 hat sich Bergkarabach ohne Zustimmung aus Baku für unabhängig erklärt. Als daraufhin der Krieg ausbrach, besetzte Armenien das Gebiet rund um Bergkarabach und kontrolliert es de facto bis heute. Armenien beharrt auf das Selbstbestimmungsrecht der Karabach-Armenier. Sie sollten per Referendum über ihre nationale Zugehörigkeit entscheiden dürfen.

Die internationale Gemeinschaft interessiert der Konflikt schon lange nicht mehr. Bei der letzten UN-Resolution aus dem Jahre 2008 enthielten sich 100 Länder bei der Forderung, Armenien sollte seine Truppen „unverzüglich und vollständig“ abziehen. Die Mitglieder der Minsker Gruppe – Russland, Frankreich und die USA – lehnten die Resolution ab.

Ob die EU sich nun aufgrund der neuen energiepolitischen Bedeutung Aserbaidschans in den Konflikt einmischen wird, bezweifelt Kaukasus-Experte Halbach. Und zwar aus einem einfachen Grund: „Aserbaidschan kann Russland nicht ersetzen.“ Immerhin macht die EU in den Assoziierungsabkommen mit Aserbaidschan und Armenien den Fortschritt des Friedensprozesses zwischen den beiden Ländern zum Thema. Aber eine Beobachtermission in das Grenzgebiet zu schicken wie 2008 nach Georgien, als sich Südossetien und Abchasienabspalteten, kam der EU nicht in den Sinn.

Die EU könnte die Krim-Krise nutzen, um sich zielstrebiger für eine unabhängige Energieversorgung vorzubereiten. Ob man aber mit Aserbaidschan, Turkmenistan oder dem Iran auf verlässlichere Energielieferanten vertrauen würde, ist eine andere Frage. Dann blieben nur Kanada und Norwegen. Diese Haltung spart zudem eine andere bittere Erkenntnis der Krim-Krise aus. Nämlich die, dass Russland – und nicht die EU – alleinige Gestaltungsmacht im postsowjetischen Raum ist. Doch ohnehin scheint man in Brüssel noch nicht so weit zu sein: Die Forderung der aserbaidschanischen Delegation ist ohne Antwort geblieben.