Textbeitrag

Staatslenker dürfen keine Meinungsmacher sein

Putin durfte seine Syrien-Politik in der New York Times erklären. Venezuelas Maduro hat seine Sicht der Proteste auch dort dargelegt: aufschlussreich, aber fragwürdig.

Dass sich am Staatspräsidenten der Bolivarischen Republik Venezuela, Nicolás Maduro, die Geister scheiden, zeigt sich tagtäglich auf den Straßen in Caracas und den Feuilletons der Weltpresse. Maduro hat die Proteste niederknüppeln lassen – inzwischen schlägt er auch verbal gegen die Meinungsmacher zurück, zuletzt in einem Meinungsartikel für die New York Times.

Völlig erwartbar ist, in welche Richtung Maduro dabei geht: „Die jüngsten Proteste in Venezuela haben für Schlagzeilen in der Weltpresse gesorgt. Ein Großteil der Berichterstattung aus dem Ausland hat jedoch die Wahrheit in meinem Land – und die Tatsachen, die hinter den Ereignissen stehen – komplett verdreht.“ Ausgerechnet der durch landesweite Proteste bedrängte Präsident, der den USA und der Opposition vorwirft (auch in dem Artikel), einen Putsch gegen ihn zu schüren mit CIA-Geldern und Molotowcocktails, behauptet dort allen Ernstes, nur ein Prozent der Venezolaner würden gegen seine Regierung protestieren.

Wundern kann man sich aber darüber, warum die Chefredakteurin der New York Times, Jill Abramson, dem Chavisten diesen Platz einräumt. Vermutlich weil sie kurz zuvor an gleicher Stelle dem inhaftierten Oppositionsführer Lepoldo López dasselbe Recht eingeräumt hatte – mit ebenso erwartbarer Meinung über die Rechtmäßigkeit seiner Verurteilung übrigens – und jetzt ein Beispiel an Meinungspluralität geben wollte. Das ist lobenswert. Doch die größere Frage, die sich hinter Maduros Meinungstext stellt, ist, ob amtierende Staatsoberhäupter überhaupt Meinungsartikel in ausländischen Tageszeitungen schreiben sollten.

Wladimir Putin in der „FAZ“?

Die Reaktionen auf Maduros A Call For Peace betitelten Artikel jedenfalls zeigen, dass die Sichtweise des Präsidenten polarisiert. Die Hunderten Kommentare, die unter der Onlineversion im Netz stehen, beklatschen Maduro entweder als mutigen Held, der den verblendeten US-Bürgern die Augen über die dreckige Außenpolitik ihrer eigenen Regierung öffnet – oder sie verurteilen seine Argumentationskette als schamlose Opfer-Inszenierung eines Mannes, der in unzufriedenen Studenten gewaltbereite Aufwiegler oder ausländische Agenten sieht.

Man mag Maduros Meinung als erfrischende Innenperspektive eines Landes gelten lassen, das in der Weltpresse zumeist nicht gut wegkommt. Seine Sicht ist mithin aufschlussreich. Doch wäre es etwa vorstellbar, dass der russische Präsident Wladimir Putin (der auch schon in der New York Times seine verwerfliche Syrien-Politik verteidigen durfte) die wirtschaftlichen Erwägungen der Krim-Annexion im Editorial der Frankfurter Allgemein Zeitung ausbreitet? Dass der syrische Präsident Baschar al-Assad die aus seiner Sicht berechtigten Gründe für den Kampf gegen die „Terroristen“ im eigenen Land in der libanesischen L’Orient Le Jour darlegt? Jetzt, da eine Million Landsleute dorthin geflüchtet sind?

Vielleicht würde der nordkoreanische Diktator Kim Jong Un auch in der Neuen Zürcher Zeitung zu den Vorwürfen des UN-Menschenrechtsrates Stellung beziehen, warum er bis zu 120.000 politische Gefangene in Straflagern siechen lässt? Warum eigentlich auch nicht? Schließlich war Un in seiner Jugend in einem Schweizer Internat.

Natürlich würde kein Chefredakteur einem mordenden Diktator auch nur eine Zeile Platz für dessen krude Weltsichten überlassen. Mehr noch: Selbst die Vorstellung, Kanzlerin Angela Merkel würde in der griechischen To Vima nach den versöhnlichen Worten von Bundespräsident Joachim Gauck zu kaum gewürdigten Naziverbrechen an Griechen ein vernichtendes Urteil über die Sparbemühungen des Landes fällen – und damit sicher wieder Nazi-Rufe provozieren –, ist schwer vorstellbar.

Der Grund hierfür liegt nicht nur darin, dass ein den eigenen Wertvorstellungen zu gegenläufiger Standpunkt schlicht Irritationen auslösen würde – in den obigen Fällen würden sie das mit Sicherheit –, sondern auch darin, dass dieser Standpunkt unkommentiert bleibt, ihm die notwendige und vor allem unmittelbare Erwiderung fehlt. In dieser Woche interviewte die ZEIT den polnischen Premier Donald Tusk und zeigt, was den Unterschied ausmacht: Als Tusk einer Frage ausweicht und über historische polnisch-ukrainische Ressentiments zu schwadronieren beginnt, fallen ihm die Redakteure trocken ins Wort und wiederholen die Frage: „Dennoch, wie stabil ist die Ukraine?“ Und Tusk ist gezwungen, darauf klug zu antworten.

Editorial nicht der Platz für Politiker

Qualitätszeitungen – und die New York Times gehört zweifelsfrei dazu – sollten sich gut überlegen, ob sie einen Politiker frei fabulieren lassen wollen, ohne ihn unterbrechen oder mit Gegenstandpunkten konfrontieren zu können. Auch wenn eine ungefilterte Politikermeinung – ob von einem eitlen Berlusconi oder von einer scharfzüngigen Fernández de Kirchner – mithin aufschlussreich ist: Sie gehören in die Parteizeitung oder in die Pressestelle und nicht dorthin, wo Außenstehende politische Vorgänge betrachten und auch meinungsstark bewerten sollten: ins Editorial.

Maduros Apologien enden immerhin in einem Dialogangebot an die USA. „Venezuela benötigt Frieden und Dialog, um vorwärts zu kommen. Wir heißen jeden willkommen, der uns ehrlich dabei unterstützen will, diese Ziele zu erreichen.“ Es klingt ein bisschen nach einem Hilferuf. Bislang blieb er unbeantwortet. Sollte sich US-Präsident Barack Obama indes entscheiden, sagen wir, in einer venezolanischen Tageszeitung für seinen Standpunkt werben zu wollen, wird Maduro beweisen können, wie ernst das Angebot gemeint war.