Schwerpunkt, Textbeitrag

Unter Beifall gibt sie auf und steigt vom Baum

Fünf Tage protestierte eine Frau in Berlin auf einem Baum gegen die Räumung eines Flüchtlingscamps. Ihr Ziel erreichte sie nicht, aber sie wurde zur Symbolfigur.

Napuli Langa hat sich eingerichtet in der Platane: Ein rote und eine weiße Decke mit Blumenmuster hängen in der Astgabel über ihr, an einer Schnur baumelt eine Plastikflasche mit Wasser. In gut vier Metern Höhe reckt sie eine Faust in die Höhe und ruft: „We will fight.“ Sofort sind „Napuli, Napuli“-Sprechchöre zu hören.

Seit fünf Tagen sitzt Napuli Langa in einer Baumkrone, um gegen die Räumung des Flüchtlingscamps auf dem Berliner Oranienplatz zu protestieren. Eine kleine Gruppe, in Sichtweite des Baumes, unterstützt sie. Jetzt, in der Nacht zum Sonntag, will die Polizei die Frau vom Baum holen. Ihren gesundheitlichen Zustand könne man nicht mehr verantworten, sagen Ärzte der Feuerwehr. Napuli Langa ist seit vier Tagen im Hungerstreik. Alles steht bereit, um auch die letzte Aktivistin vom Oranienplatz zu schaffen.

Drei orangefarbene Sprungtücher stehen um den Stamm der Platane, ein Dutzend Feuerwehrleute, Sanitäter und Polizisten stehen abseits. Ein paar tragen Sturmhauben. Wird gleich die Spezialeinheit zum Einsatz kommen, wenn Napuli Langa sich weigern sollte, herunterzukommen? „Das sind Erwägungen, die wir im Vorfeld nicht bekannt geben können“, sagt Polizeisprecher Thomas Neuendorf, der ebenfalls vor Ort ist. „Wir hoffen, dass sie sich überreden lässt.“

Sie fordert ein Bleiberecht für alle

Seit Tagen versucht die Polizei, die Sudanesin zum Herunterkommen zu bewegen. Napuli forderte, mit der Integrationssenatorin der Stadt, Dilek Kolat, zu sprechen. Die erklärte sich bereit, aber „nicht unter einem Baum“. Kolat schlug eine nahe Kirche als möglichen Treffpunkt vor. Napuli Langa lehnte ab und beharrte auf der alten Forderung des Protestcamps: ein Bleiberecht für alle Flüchtlinge. „Nicht verhandelbar“, kommentiert Polizeisprecher Neuendorf.

Im Oktober 2012 hatten Flüchtlinge das Camp auf dem Oranienplatz in Kreuzbergeingerichtet. Seitdem protestierten sie hier, sie wollten auf ihre schlechte Lage aufmerksam machen und forderten eine liberalere Einwanderungspolitik in Deutschland.

Schon bald war sie allein auf dem Baum

Monatelang hatte Integrationssenatorin Kolat zwischen Flüchtlingen und Senat vermittelt und eine Vereinbarung ausgehandelt. Die Stadt versprach Unterkunft und Einzelfallprüfung – im Gegenzug sollten die Flüchtlinge das Protestcamp freiwillig räumen. Nicht alle stimmten dieser Vereinbarung zu. Darunter Napuli Langa. Während andere Flüchtlinge mithalfen, das Camp niederzureißen, kletterte sie mit ein paar anderen auf einen Baum. Schon bald war sie dort allein.

„Napuli ist eine zentrale Figur des Protestes“, sagt Aslı Özarslan. Die Filmemacherin hat die Aktivistin vier Monate lang begleitet, in zwei Wochen kommt ihre Doku Insel 36 in die Kinos. Alle Flüchtlinge im Camp seien mit ihren Problemen zu Napuli Langa gekommen, sagt Özarslan. An diesem Samstagabend ist Özarslan zum Oranienplatz gekommen, um zu sehen, wie es der Protagonistin ihres Films geht. Sie muss feststellen – nicht gut.

Sorge um die Gesundheit von Napuli Langa

Selbst aus zehn Metern Entfernung erkennt man, wie sehr Napuli Langa nach fünf Tagen auf dem Baum leidet. Ihre Bewegungen sind langsam, man fürchtet, sie könne jeden Moment abstürzen. Am Fuß der Platane, direkt hinter einem Sprungtuch, steht die grüne Bezirksabgeordnete Canan Bayram. Viele Flüchtlinge sehen in ihr eine Fürsprecherin des Protestes. Die Politikerin wirkt beunruhigt, redet auf Napuli Langa ein, will sie zur Aufgabe bewegen. Auch der Verlobte der Aktivistin ist da, er kann nicht still stehen, geht unter der Platane auf und ab.

Dann kommt plötzlich Bewegung in die Szenerie. Feuerwehrmänner tragen eine Leiter heran und lehnen sie an die Platane. Ein Mann in Zivil steigt empor und bietet Napuli Langa seine Hand als Stütze. Sie ergreift die Hand, klettert um einen Ast herum und steht dann auf der Leiter. Ihre Ohrringe funkeln rot und grün im Scheinwerferlicht. Die Menschen auf dem Platz applaudieren. Dann ist sie unten.

In eine Wolldecke gehüllt wird sie zum Krankenwagen gebracht und ins Krankenhaus gefahren. Um 22:30 Uhr hat Napuli Langa den Ort verlassen – damit ist das Flüchtlingscamp auf dem Oranienplatz, das vor eineinhalb Jahren eingerichtet wurde, vollständig geräumt.